- 40 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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der sie durch ihren Charakter und ihren musikalischen Ausdruck den weiteren Handlungsverlauf antizipiert. In dieser Funktion dient sie wieder zwei dramaturgischen Aufgaben: der Vorbereitung des Zuschauers auf bestimmte Inhalte und zugleich der inneren Verbindung einer Reihe aufeinanderfolgender Szenen. Beides sind in erster Linie formale Funktionen.«35
35 Lissa 1965, S. 210.

Infolgedessen ist für Kinsky-Weinfurter der Begriff der Polarisierung, verstanden als antizipierendes Moment, sinnvoll, da er sich klar von der auf das aktuelle Bildgeschehen gerichteten Paraphrasierung oder Kontrapunktierung abhebt.

Obwohl Kinsky-Weinfurter beispielsweise am Begriff der Polarisierung nach Pauli Kritik übt, da dessen Definition zu grob gefaßt ist, ist Paulis Unterteilung bei aller Kritik im Sinne eines Näherungswertes der Bild-Musik-Relation sinnvoll. Derselben Ansicht sind auch Holicki und Brosius.36

36 Sabine Holicki/Hans-Bernd Brosius: »Der Einfluß von Filmmusik und nonverbalem Verhalten der Akteure auf die Wahrnehmung und Interpretation einer Filmhandlung.« Rundfunk und Fernsehen 36 (1988) 189–206.
Ihren Ausführungen zufolge gehen Paulis Selbstkritik, besonders was seine Unterscheidung zwischen Bildvordergrund und Hintergrund angeht, und die Konsequenz, mit der er anschließend seine Kategorisierung verwirft, am Ziel vorbei. Filmbilder sind in der Regel so aufgebaut, daß eine bestimmte Bedeutung im Vordergrund steht – sei dies ein eindeutiger Handlungsinhalt oder eine ambivalente Szene – und zwar auch dann, wenn daneben noch weitere, hintergründige Aspekte angedeutet sind. Filmmusik kann daher durchaus paraphrasierend, polarisierend oder kontrapunktisch wirken, und zwar in bezug auf eben diese vordergründige Bedeutung der Bilder. Dabei ist es zweitrangig, ob auch die Bilder selbst Elemente enthalten, die zu der vordergründigen Bedeutung widersprüchlich sind. Dies führt allerdings vermutlich zu einer Verstärkung der Musikwirkung. Holicki und Brosius erscheint es jedoch für die Forschung unverzichtbar, die Beziehung zwischen dem Eindruck der Musik und dem der vordergründigen Handlung in Kategorien zu fassen, die Übereinstimmung oder Widerspruch zwischen beiden bezeichnen. Verzichtete man auf eine solche Klassifikation, so ließe sich letztendlich keine Aussage mehr über die Wirkung von Filmmusik auf die Wahrnehmung von Filmszenen treffen, ebensowenig wie man die Wirkung der Musik mit der Wirkung der Bildinhalte vergleichen könnte.37
37 Holicki/Brosius 1988, S. 191n.
Das gleiche gilt sowohl für die formale als auch für die Funktionsanalyse von Filmmusik. Eine formale Bestimmung der Bild-Musik-Relation richtet sich in der Regel nach äußerlichen Aspekten wie Tempo, Rhythmus, Bildschnitt und Musikschnitt, die sich auf das vordergründige Geschehen des Bildes richten. Ergeben sich nach Paulis Klassifikation Gemeinsamkeiten oder Unterschiede zwischen formaler Anordnung und Wirkung, so deutet dies auf bestimmte Funktionen der Musik, die mitunter durch jene Widersprüche oder Gemeinsamkeiten offenbar werden. Ergeben sich nach Paulis Klassifikation Besonderheiten in einer singulären Einstellung oder einer einzelnen Szene, so kann dies für die Gesamtdramaturgie der Filmmusik von Bedeutung sein. Insofern ist die Unterteilung nach Pauli durchaus anwendbar, da sie einen gewissen Näherungswert an die Bild-Musik-Relation darstellt, die zu einer differenzierten Funktionsanalyse der Musik führt.

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