- 39 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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Werke von Kurt Weill zurück: nur die Kontexte stiften Sinn, und nicht in erster Linie die Texte: »Ich behaupte damit, daß jegliche Musik da, wo sie nicht mehr bloß im Kopf des Komponisten als Gedachte vorkommt, sondern gespielt und gehört wird, Musik im Kontext ist, als Musik im Kontext prinzipiell vergleichbar einer Musik zu Spektakel, und gleich jener dem Prozeß der Vergegenständlichung unterliegt: Prozeß, den jetzt äußere Umstände wie Aufführungsorte oder -anlässe ebenso steuern wie die Voraussetzungen, die jeder einzelne Hörer selber mitbringt: die gesellschaftlichen/bildungsmäßigen/kulturellen und die durch individuelle Erfahrungen bestimmten.«31
31 Pauli 1981b, S. 190.

Doch neben Paulis eigener Kritik gibt es auch Einwände von anderen Seiten. Die Polarisierung definiert Pauli als emotionale Einfärbung des inhaltlich neutralen Bildes. Kinsky-Weinfurter argumentiert hingegen, daß der Begriff der Neutralität nicht anwendbar ist. Das »neutrale Bild« stellt in jedem Fall eine Fiktion dar: jede Bildbotschaft vermittelt Werte, Positionen und letztlich Einstellungen. Damit aber schwimmen wiederum die Abgrenzungen zur Paraphrasierung.32

32 Kinsky-Weinfurter 1993, S. 86.
Im Gegensatz dazu sieht de la Motte-Haber die Hypothese Paulis, nach der bei der Polarisierung ein Bildaspekt durch Musik entscheidend geprägt wird, vor allem durch die Ergebnisse Gerreros bestätigt. An seiner Untersuchung, in der er Filmsequenzen mit verschiedenen Ausschnitten von Filmmusik unterlegt hatte, ließ sich nachweisen, daß uneindeutige Bildaussagen durch Musik stärker beeinflußt werden.33
33 Motte-Haber/Emons 1980, S. 214. Motte-Haber bezieht sich hier auf die Dissertation von R. Gerrero: Music as a Film Variable. Ann Arbor 1969.
Über die bereits zitierten Ausführungen Paulis zum Begriff der Polarisierung hinaus schreibt dieser beispielsweise Titelmusiken eine polarisierende Funktion zu, die als eine Art Ouvertüre das Publikum auf die erste Szene oder den gesamten Film einstimmen sollen. Nach Kinsky-Weinfurter steckt in diesem Gedanken neben der »Einfärbung« auch die Definition der Ankündigung: wenn Musik eine kommende Situation ankündigt, verweist sie auf etwas noch nicht Sichtbares. Dieselbe Funktion kann sie auch innerhalb des Filmes übernehmen, besonders in Spannungsgenres wie Abenteuerfilmen, in denen Musik häufig bereits dann Bedrohung ankündigt, wenn sie durch das aktuelle Filmbild noch gar nicht motiviert scheint.34
34 Kinsky-Weinfurter 1993, S. 87.
In diesem Falle ergibt sich jedoch wiederum eine Vermischung der Grenzen, denn Musik als Ankündigung steht im Gegensatz zum gezeigten Bild und würde dann eher eine kontrapunktierende Funktion erfüllen. Kinsky-Weinfurter schränkt dies jedoch insofern ein, als daß Musik als »polarisierende Ankündigung« im Film mittlerweile eine Alltagserscheinung ist und als solche einer konventionellen Polarisierung entspricht. Der Sinn einer antizipierenden Musik, die er unter den Begriff der Polarisierung faßt, ergibt sich aus den nachfolgenden Bildern. Zur Polarisierung durch Musik schreibt Lissa: »Neben allen [...] geschilderten Funktionen der Musik, von denen sich einige vornehmlich auf Einzelheiten des Bildes beziehen, andere dagegen auf längere Sequenzen oder auch den Film als Ganzes, ist jene Funktion sehr wichtig, die mehrere Szenen zu einem im Ausdruck einheitlichen Ganzen verbindet. Es handelt sich hier um jene Funktion der Musik, in der sie der Entwicklung der Handlung vorausgeht, deren Entwicklungsrichtung ankündigt, in

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