Zwar war Pauli im Jahre 1981 noch immer von der »Systematisierungswut« Lissas
überzeugt, doch war er mit seinem eigenen »Dreisprung« nicht mehr zufrieden. Neben
den bereits geschilderten Widersprüchen lag der Hauptgrund seiner Zurücknahme in
seiner Unterscheidung zwischen Ursache und Wirkung von Filmmusik: Seiner
ursprünglichen Definition zufolge bedeutet Paraphrasierung, daß Musik mit den Bildern
geht oder mit Gefühlen, die die Bilder beim Betrachter auslösen, z. B. Freude, Trauer
oder Spannung. Also erzielt Musik, die mit den Bildern geht, dasselbe wie Musik, die mit
den von den Bildern ausgelösten Gefühlen geht, indem sie mit ihren Mitteln in
der akustischen Schicht nachzeichnet, was sich in der visuellen Ebene zuträgt.
Demnach sind für ihn im Falle der Paraphrasierung formale Ursache und Wirkung
identisch.
Die Kontrapunktierung durch Musik wäre analog hierzu in der Art und Weise zu
bestimmen, daß die Musik gegen die Bilder und damit auch gegen die Gefühle geht, die
die Bilder beim Betrachter auslösen. Doch hier gehen nach Pauli Ursache und Wirkung
auseinander, denn nicht immer erzielt Musik, die gegen die Bilder geht, dasselbe wie
Musik, die gegen die von den Bildern ausgelösten Gefühle gerichtet ist. Denn Musik, die
sich gegen Gefühle richtet, versucht zu verhindern, daß der Zuschauer sich blindlings
den Bildern und dem, was an Lehrmeinungen hinter ihnen steht, ausliefert.
Wenn beispielsweise ein Komponist zu schnellen Bewegungen langsamere Musik
setzt, so in aller Regel nicht, um den Betrachter auf Distanz zu rücken, sondern
gerade umgekehrt, um identifikationshemmende Mängel im Erzähltempo zu
beheben, um Partien, die bei der Inszenierung verhastet wurden, zu bremsen.
Mit einem Eingriff, der formal als Kontrapunktierung qualifiziert werden muß,
bewirkt der Filmkomponist dramaturgisch, was sonst eine Paraphrasierung
bewirkt.28
Zu diesem Spagat zwischen Ursache und Wirkung benennt Schmidt ein Beispiel der
Filmgeschichte: die Beschießung der Danziger Post durch die Nazis in dem Film Die
Blechtrommel von Volker Schlöndorff: Die Sequenz zeigt die totale Verwüstung.
Gegen die Explosionen setzt der Filmkomponist Maurice Jarre eine dem Stile
Chopins nachempfundene verhaltene Mazurka für Klavier. Formal verstanden eine
Kontrapunktierung; funktionsanalytisch begriffen deuten die dezenten Klänge eine
symbolische Bedeutung an und sind, statt Kontrapunkt, ein inhaltlich integriertes
Moment, nämlich die Mazurka als klingendes Symbol für die nationale Würde der
Polen.29
29 Vgl. Kap. 8.4, Exkurs: Volker Schlöndorff: Die Blechtrommel (Deutschland/Frankreich
1979).
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Wirkungsanalytisch aber möchte Schmidt den zart romantischen Gestus der Mazurka als
eine Verklanglichung von Gefühlen verstehen, welche die Bilder im Zuschauer
auslösen;30
30 Hans-Christian Schmidt: » ›‚. . . ohne durch die ordnende Instanz des Intellekts zu
gehen.‹ Reflexe auf vermutete Wirkungen von Musik im Spielfilm.« In: Klaus-Ernst
Behne (Hrsg.): Musikpädagogische Forschung, Bd. 3: Gefühl als Erlebnis – Ausdruck als
Sinn. Laaber 1982a, S. 174.
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als solche ist die Musik nicht Kontrapunkt, sondern paraphrasierend.
Die Tatsache, daß bei der Paraphrasierung Ursache und dramaturgische Wirkung
identisch sind, bei der Kontrapunktierung jedoch nicht, läßt für Pauli den Schluß zu, daß
die beiden Termini nicht kompatibel sind. Darüber hinaus sind für Pauli in den achtziger
Jahren die Wirkungen von Filmmusik wichtiger geworden als die Ursachen;
diese Überzeugung führt er auf das Studium der amerikanischen
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