hat sie herausgefunden, daß Lou sie beklaut hat.
Beiden ist plötzlich die Mafia auf der Spur. Mehr aus Versehen erschießt Lou die
beiden Mafia-Killer und flüchtet – mit vor Stolz geschwellter Brust – mit Sally in
ein Motel, wo er seine Tat mit Champagner zu seinen im Fernsehen ausgestrahlten
Fahndungsfotos begießt. Endlich ist er als Verbrecher ein großes Tier. Enthusiastisch
phantasiert er davon, mit Sally in Florida ein neues Leben zu beginnen. In den frühen
Morgenstunden stiehlt diese ihm einen Teil seiner Rauschgiftbeute und fährt mit
dem Auto davon. Sie will sich ihren eigenen Traum erfüllen. Lou läßt sie generös
ziehen. Stolz darüber, daß er ein gesuchter Killer ist, kehrt er nach Atlantic City
zurück. Grace setzt das restliche Kokain ab, um endlich das zu werden, was sie immer
gerne gewesen wäre: die Braut des berühmten Gangsters Lou. In der letzten Szene
laufen die beiden vergnügt in neugewonnener Würde über die Strandpromenade,
während im Hintergrund ein weiterer Art-Deco-Palast in einer Staubwolke abgerissen
wird.
Atlantic City, U.S.A. ist ein Autorenfilm, der die Grenzen der herkömmlichen Genres ins Wanken bringt. Er ist eine Mischung aus Gangster- und Kriminalfilm mit zuweilen komödiantischen wie tragischen Elementen, ein Liebes- und Beziehungsfilm, ein Stadtfilm und zugleich ein Kulturfilm eigener Art.1 Das dramaturgische Verfahren des französischen Regisseurs, der zu dieser Zeit freiwillig im Exil in den USA lebte, basiert auf seinem täglichen Umgang mit der fremden Kultur und ihrer Sprache: »Das bewirkt, daß man genauer beobachtet, es regt die Neugierde an für alles, was um einen herum geschieht. Und es verbietet einem jegliches moralisches Urteil über die Dinge, die man sieht.«2 So beläßt es Malle beider Darstellung, die szenisch jedoch umso dichter ausfällt. Das schwingende Prinzip seines Films ruht auf den Bildern einer aufgelösten Ruinenlandschaft.3 Atlantic City war für ihn ein idealer Drehort. In den siebziger Jahren versuchte die Stadt ein Comeback, wobei sie brutal ihre einst so schillernde Vergangenheit niederriß. »Atlantic City, you are back on the map. Again«, so prahlt die Stadtverwaltung im Film mit einem wuchtigen Slogan. Inmitten von riesigen Baustellen, alten Kasinos und neuen Hamburgerbuden, einer verwitterten hölzernen Seepromenade und schreiend bunten Neonlichtern der technisierten Freizeitindustrie mit Popmusik und allgegenwärtiger Drogenszene sind die Charaktere Spiegel dieser chaotischen Umbruchphase. Und darin liegt die Thematik des Films: Malle inszeniert hier auf realistische Weise die Faszination eines Europäers von Amerika; ein Land, in dem historische Legende und Zukunftsträume soviel Raum beanspruchen, daß darüber die Gegenwart für die Charaktere zum ständigen desolaten Provisorium wird. Solide Existenzen fühlen sich von Atlantic City nicht angezogen, höchstens Träumer, Spinner, Diebe. Es ist eine Stadt der Spieler, in der die letzten Bewohner wie in einem verlassenen Goldgräber-Camp noch einmal unversehens auf eine reiche Ader gestoßen sind. Aus der Geisterstadt wird wieder ein blühender »Boom Town«. Das Geld regiert Denken und Handeln der Menschen; jeder ist auf seinen eigenen Vorteil bedacht. Das Leben wird zum Roulette, Glück und Unglück liegen dicht beieinander. Die Stadt, so resümiert Blumenberg4, verkauft keine Gewißheiten, sondern Sehnsüchte. |