- 387 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (386)Nächste Seite (388) Letzte Seite (600)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

12.  Exkurs: Das Zitat als kulturelle Identität: Louis Malle: Atlantic City, U.S.A.

The Pursuit of Happiness, der amerikanische Traum, und zwar aus der Sicht eines Europäers: das ist der Tenor in Louis Malles Film Atlantic City, U.S.A. aus dem Jahre 1980. Anhand von sechs Charakteren zeichnet Malle ein präzises Porträt des schäbig eleganten Glücksspiel-Paradieses an der Ostküste, indem er Versatzstücke seiner Realität sammelt und zu Bildern zusammensetzt. Bei der Musik verfährt er nach dem gleichen Schema. Sie besteht ausschließlich aus autonomer Musik, eine Mischung aus Bellini, Rocksongs, Jazz, Country Music und indischer Folklore. Sie ist stets als Incidenzmusik zu hören; als solche ist sie Teil des von Malle dargestellten Stadtlebens, in dem die Charaktere ebenso bunt zusammengewürfelt sind.

Da ist zunächst Sally (Susan Sarandon), die wir gleich zu Anfang des Films kennenlernen. Sie arbeitet im Restaurant hinter der Austern-Theke, in ihrer Freizeit erlernt sie das Handwerk des Kartendealers bei Joseph (Michel Piccoli). Sie träumt von einem Leben als Croupier in den feudalen Spielbanken Europas. Sally ist Objekt der voyeuristischen Begierde ihres Nachbarn Lou (Burt Lancaster), ein alternder Kleinkaliberganove, der sich in Anfällen von Größenwahn stets eine ruhmreiche Vergangenheit zurechtträumt mit Namen wie Al Capone und Bugsy Siegel. Er lebt von einem schäbigen Einkommen als Kurier für eine illegale Lotterie. Er ist Hausmann, »Pudelsitter« und gelegentlicher Liebhaber von Grace (Kate Reid), eine verwelkte, hypochondrische, ewig nörgelnde Gangsterbraut aus der Provinz, die genauso grotesk aufgedonnert ist wie die Stadt. Als »Miss Flipperautomat«, wie Lou verächtlich ihren dritten Platz bei einer Miß-Wahl nennt, ist sie vor vierzig Jahren in der Stadt hängengeblieben. Zwei weitere drop-outs wollen mitmachen beim großen Spiel der Verlierer: Sallys Ehemann Dave (Robert Joy), ein schmieriger Vorstadt-Hippie, der aber sein möchte wie die abgeklärten Profis aus der Rauschgiftszene, und seine hochschwangere Freundin Chrissie (Hollis McLaren). Sie ist Sallys jüngere Schwester, ein unzeitgemäßes zugekifftes Blumenkind, das mit naiver Begeisterung von LSD, Wiedergeburt und Hare Krishna plappert. Diese Charaktere treffen nun in Atlantic City aufeinander. Die Stadt ist gerade im Umbruch. Aus dem heruntergekommenen Seebad soll ein glitzerndes Ostküsten-Las Vegas werden. Das Chaos der Stadtverhältnisse dringt in die neurotischen Beziehungen der Menschen ein. Dave hält Lou für ein führendes Mitglied der Unterwelt und will über ihn eine große Menge Kokain verhökern, das er der Mafia aus einer Telefonzelle in Philadelphia geklaut hat. Wenig später wird er von zwei Mafia-Dealern ermordet, Lou macht das Geschäft und behält das Geld. Er gewinnt Sallys Vertrauen, indem er sich um Daves Begräbnis kümmert. Er spielt ihr den großen weltgewandten Kavalier mit den Spendierhosen vor, wenig später wird er kurzweilig ihr Liebhaber. Wegen ihrer Verbindung zu Dave wird Sally vom Kasino gefeuert. Mittlerweile


Erste Seite (i) Vorherige Seite (386)Nächste Seite (388) Letzte Seite (600)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 387 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik