12. Exkurs: Das Zitat als kulturelle Identität: Louis Malle: Atlantic City,
U.S.A.
The Pursuit of Happiness, der amerikanische Traum, und zwar aus der Sicht eines
Europäers: das ist der Tenor in Louis Malles Film Atlantic City, U.S.A. aus dem Jahre
1980. Anhand von sechs Charakteren zeichnet Malle ein präzises Porträt des schäbig
eleganten Glücksspiel-Paradieses an der Ostküste, indem er Versatzstücke seiner
Realität sammelt und zu Bildern zusammensetzt. Bei der Musik verfährt er nach
dem gleichen Schema. Sie besteht ausschließlich aus autonomer Musik, eine
Mischung aus Bellini, Rocksongs, Jazz, Country Music und indischer Folklore.
Sie ist stets als Incidenzmusik zu hören; als solche ist sie Teil des von Malle
dargestellten Stadtlebens, in dem die Charaktere ebenso bunt zusammengewürfelt
sind.
Da ist zunächst Sally (Susan Sarandon), die wir gleich zu Anfang des Films kennenlernen. Sie
arbeitet im Restaurant hinter der Austern-Theke, in ihrer Freizeit erlernt sie das Handwerk des
Kartendealers bei Joseph (Michel Piccoli). Sie träumt von einem Leben als Croupier in
den feudalen Spielbanken Europas. Sally ist Objekt der voyeuristischen Begierde
ihres Nachbarn Lou (Burt Lancaster), ein alternder Kleinkaliberganove, der sich in
Anfällen von Größenwahn stets eine ruhmreiche Vergangenheit zurechtträumt mit
Namen wie Al Capone und Bugsy Siegel. Er lebt von einem schäbigen Einkommen als
Kurier für eine illegale Lotterie. Er ist Hausmann, »Pudelsitter« und gelegentlicher
Liebhaber von Grace (Kate Reid), eine verwelkte, hypochondrische, ewig nörgelnde
Gangsterbraut aus der Provinz, die genauso grotesk aufgedonnert ist wie die Stadt. Als »Miss
Flipperautomat«, wie Lou verächtlich ihren dritten Platz bei einer Miß-Wahl nennt, ist
sie vor vierzig Jahren in der Stadt hängengeblieben. Zwei weitere drop-outs wollen
mitmachen beim großen Spiel der Verlierer: Sallys Ehemann Dave (Robert Joy), ein
schmieriger Vorstadt-Hippie, der aber sein möchte wie die abgeklärten Profis aus der
Rauschgiftszene, und seine hochschwangere Freundin Chrissie (Hollis McLaren). Sie ist
Sallys jüngere Schwester, ein unzeitgemäßes zugekifftes Blumenkind, das mit naiver
Begeisterung von LSD, Wiedergeburt und Hare Krishna plappert. Diese Charaktere
treffen nun in Atlantic City aufeinander. Die Stadt ist gerade im Umbruch. Aus dem
heruntergekommenen Seebad soll ein glitzerndes Ostküsten-Las Vegas werden. Das Chaos der
Stadtverhältnisse dringt in die neurotischen Beziehungen der Menschen ein. Dave hält Lou für
ein führendes Mitglied der Unterwelt und will über ihn eine große Menge Kokain verhökern,
das er der Mafia aus einer Telefonzelle in Philadelphia geklaut hat. Wenig später
wird er von zwei Mafia-Dealern ermordet, Lou macht das Geschäft und behält das
Geld. Er gewinnt Sallys Vertrauen, indem er sich um Daves Begräbnis kümmert.
Er spielt ihr den großen weltgewandten Kavalier mit den Spendierhosen vor, wenig
später wird er kurzweilig ihr Liebhaber. Wegen ihrer Verbindung zu Dave wird Sally
vom Kasino gefeuert. Mittlerweile
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