Helga de la
Motte-Haber aus. Die Orchesterfassung des Satzes wird gemeinhin als das »Normale«
gehalten. Indem Kubrick nun durch den synthetischen Sound die tonale Vorstellung des
Zuschauers verstört, deutet er auf eine verstörte Welt von Alex hin, aus dessen
Perspektive der Film erzählt wird. Motte-Haber sieht in der Veränderung von
Klangstrukturen auch eine Stilfigur von Wahnwelten. Zwar wird Alex während der
Behandlung nicht wahnsinnig im herkömmlichen Sinne, doch deutet die synthetische
Fassung auf eine veränderte Rezeptionsweise der Musik hin, die zwangsläufig auch Alex
betrifft.
Der Einsatz beginnt mit einer Szene vom Aufmarsch der Nationalsozialisten (vgl. Sequenzprotokoll Anhang B.3.4). Noch ist nicht deutlich, daß es sich um eine Filmmusik im Film handelt, der Einsatz scheint daher wie ein Fremdton motiviert, denn der Zuschauer kann die Musik zunächst nicht konkret lokalisieren. Dadurch entsteht zunächst ein »weiter Imaginationsraum« (Schneider), den Kubrick für die Präsentation der Nationalsozialisten nutzt. Der Marsch, der in der Sinfonie jene frech bizarre Kriegsmusik darstellt, wird hier zu einer Paraphrasierung für den Aufmarsch der Nationalsozialisten. Kameraeinstellungen wie Halbtotale, Totale und Weite schaffen eine Distanz, durch die Kubrick die Verzerrung der Szenerie von Truppenaufmärschen und Fanfarenzügen deutlich machen will. Der zwar synkopierte, jedoch unterschwellig vorherrschend gleichmäßige Marschrhythmus findet auf der visuellen Ebene seine Entsprechung. Kubricks Angewohnheit, Ordnung und Disziplin einer Gesellschaft zu visualisieren, findet nirgendwo anders einen stärkeren Ausdruck als in formierten Menschenreihen. Das Natürliche und Lebendige wird durch den augenscheinlichen Tektonismus des Bildes als auch des verzerrten Freudenhymnus gänzlich verbannt. So findet sich die Symmetrie nicht nur auf der visuellen Ebene, sie geht eine Synthese mit der Musik ein. Die Schnitte erfolgen stets zum vollen Takt (Einstellungen 1 bis 3) oder aber in Anpassung der Synkopen (z.B. Einstellungen 4 bis 9). So umfaßt der Film immerhin die ersten 17 Einstellungen der Szene, die allesamt Krieg, Tod und Gewalt im Banner des Hakenkreuzes thematisieren – auch eine ironische Anspielung Kubricks auf die unausrottbaren Anti-Germanismen in der angelsächsischen Trivialkultur.144 Der Text des Tenors in den Einstellungen 16 und 17 wird zum dramaturgischen Kontrapunkt (Thiel, Adorno und Eisler), sowohl funktions- als auch wirkungsanalytisch, denn der Anblick von Soldatenrazzien und ausgebombten Städten spottet jedem Ideal von Verbrüderung aller Menschen, die der synthetische Tenor so beharrlich dem Marschtempo folgend von sich gibt. Damit deutet Kubrick bereits jene zweifelhafte Aussage Beethovens an, die seinen gesamten vierten Satz prägt. Die Schönheit solch ideeller Musik wird die Welt niemals retten können, die Realität (hier das Naziregime und der Zweite Weltkrieg) belegt dies. Auch Hitler war ein begeisterter Musikkenner, seine Vorliebe für Wagner ist ein klarer Beleg für den Mißbrauch historischen Kulturgutes. Kunstwerke solcher Art haben Metternich nicht daran gehindert, an seiner restaurativen Politik festzuhalten, sie haben auch nicht – wie Kubrick wohl andeuten will – die Nationalsozialisten daran gehindert, aufzumarschieren und die Botschaft des Werkes in den Dienst ihrer machtbesessenen Ideologie zu stellen. Durch die Ludovico-Behandlung (man beachte die Ähnlichkeit mit dem Namen »Ludwig«) wird Alex’ Sehlust zum Sehzwang. In der |