bestimmt. Doch in diesem Falle spricht
Pauli im Gegensatz zu Adorno/Eisler weniger von Kontrapunktierung als von
Hintergrundparaphrasierung, da der Charakter der Musik anders als bei der
Kontrapunktierung noch immer in einem Teil des Bildinhaltes seine Entsprechung
findet.24
Kontrapunktierung heißt also für Pauli, die Musik muß allen Aspekten des
Bildinhaltes, sowohl dem Vordergrund als auch dem Hintergrund des Bildes
eindeutig widersprechen. Sie muß – wie polarisierende Musik – versuchen,
ihre Inhalte blitzschnell und unmißverständlich auszuspielen. Daher werden
sich beide eher auf Formeln und Genrezitate stützen. Letzteres definiert
Pauli als vorübergehende Verwendung stil- oder genrefremder musikalischer
Formen in einer grundsätzlich stilistisch oder vom Genre her festgeschriebenen
Musik.25
Ein berühmtes Beispiel hierfür ist Stanley Kubricks Film 2001 - Odyssee im Weltraum
aus dem Jahre 1968: in den Weltraum-Sequenzen zeigt Kubrick, wie perfekt im Jahre
2001 der schwerelose Personenverkehr abgewickelt wird. Eine Welt voller futuristischer
Technologie, die im Jahre 1968 noch irrealistisch erscheint. Dazu erklingt der
»Donauwalzer« von Johann Strauß, der in dieser futuristischen Welt auf den ersten Blick
völlig fehl am Platze erscheint. Dieser soll jedoch gerade durch seine Widersprüchlichkeit
andeuten, daß lediglich der Zuschauer es als unpassend empfindet, daß hingegen
die gezeigte Weltraumwirklichkeit banal und gewöhnlich ist – ähnlich wie ein
Walzer.26
Nicht zuletzt entspricht der schwebende Gestus des Walzers der Schwerelosigkeit des
Weltraumes, auch wenn das Zitat zunächst Verwirrung stiften mag. Paraphrasierende
Musik hingegen zehrt immer in irgendeiner Form vom Prozeß der Vergegenständlichung.
Wo sie den Bildvordergrund paraphrasiert, braucht ihr Charakter nicht restlos eindeutig
zu sein. Polarisierende und noch viel mehr kontrapunktierende Musiken dagegen müssen
sich – wollen sie nicht fehlgedeutet werden – vor der Vergegenständlichung schützen.
Paraphrasierende Musik, vor allem den Bildvordergrund paraphrasierende Musik,
kann sich dagegen Zeit lassen und folglich in der Regel mit Bewegungsgestalten
operieren.
Dennoch zeigt dieses Beispiel der Abgrenzung von Paraphrasierung und Kontrapunktierung, daß Pauli mit seinen Kategorien nicht zufrieden war. Obwohl sie in den folgenden Jahren von vielen Autoren definiert und als allgemeine Terminologie für Filmanalysen herangezogen wurden, war Pauli darüber »nicht so recht glücklich.« In seiner Monographie Filmmusik: Stummfilm schrieb er zu der Entstehung der Begriffe: »Ich erinnere mich recht genau, was mich seinerzeit dazu bewog, Ausschau zu halten nach einem Schema, in dem sich die Bild-Ton-Beziehungen übersichtlich und einleuchtend würden anordnen lassen: das Mißbehagen bei der Lektüre von Zofia Lissas ›Ästhetik der Filmmusik‹; Mißbehagen ob der, wie mir scheinen wollte: Systematisierungswut, mit der die Autorin zwischen ›Musik als Unterstreichung von Bewegungen‹ und ›musikalischer Stilisierung realer Geräusche‹ unterschied, ›Musik als Repräsentation des dargestellten Raums‹ trennte von ›Musik als Repräsentation der dargestellten Zeit‹. [...] Das müßte doch, dachte ich, auch etwas großzügiger zu haben sein...«27
|