- 368 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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als ein Bildton. Während Alex sich seinen Phantasien hingibt, setzt bereits das zweite lärmende Thema ein (Takt 93) und garantiert den Fortgang der unruhigen Grundbewegung. Wie die Überleitung den musikalischen Wirbeltanz unterbricht, so ist auch mit der Großaufnahme von Alex der Tanz der Christusfiguren beendet – Kubricks Vorliebe für Symmetrie wird erneut offenbar.

Doch die daktylische Grundbewegung bleibt in den Streichern erhalten, die Inspiration durch den bösen Augenblick Beethovens bleibt ebenso bestehen. Mit seiner Großaufnahme wird die Musik für den Augenblick der 23. Einstellung psychologisch affirmativ, denn sie spiegelt die seelische Verfassung von Alex wider: entsprechend dem unermüdlichen Kopfmotiv, das auch die Überleitung prägt, arbeitet auch seine Phantasie, die – und dies zeigt die folgende Einstellung auf Beethovens düsteres Antlitz – durch den Komponisten inspiriert wird. Das Ergebnis sind jene »lieblichen Bilder«: eine Braut wird erhängt, Alex als Vampir, Apocalypsen. Wiederum orientiert sich Kubrick an dem allmächtigen Rhythmus der Musik. So baumelt beispielsweise die Braut exakt im Takt der letzten Schlußkadenzen der Exposition am Seil. Die nun folgende rasante Bildfolge Alex als Vampir – Explosion – Vampir umgeht zwar den gleichmäßigen Rhythmus des Scherzos, ist jedoch lediglich eine Folge des endlosen rhythmischen Rapports. Wie in der Analyse erwähnt, versetzt das Scherzo den Hörer in eine Art »ekstatisches Hörerlebnis«. Alex’ Ekstase wird durch den Blick Beethovens inspiriert, die rasante und unkontrollierte Folge der Bilder, die vor seinem inneren Auge ablaufen, sind lediglich Ausdruck des dionysisch Unberechenbaren seiner Natur, was die Musik an Tageslicht holt. Diese wechselt hier von der affirmativen Funktion wieder zum dramaturgischen Kontrapunkt, denn Beethoven wird erneut zum Inbegriff von Gewalt und Tod. Alex’ Phantasien setzen sich während der Schlußgruppe der Exposition fort (Takt 139).

Als die Motorik des Kopfmotives kurzweilig zum Stocken kommt (Takt 148), ist auch Alex’ Traumvision zu Ende. Nicht nur der Schnitt, der die Mutter von Alex’ vor seiner Tür zeigt, sondern auch die Geräusche (Schritte, Türklopfen) signalisieren nun einen Realitätsbezug, der in allen vorangegangen Sequenzen nicht vorhanden war. Aufgrund seines Symmetriezwanges verwirklicht Kubrick hier sogar Lissas Vorstellung von der »Musik der Geräusche«, indem er den Dreierrhythmus auch in den Klopfgeräuschen der Mutter in die Pausen der Musik integriert. Formal gesehen wird die Musik hier paraphrasierend, denn die Verwunderung der Mutter steigt mit der Dynamik der Schlußgruppe. Kurz vor dem Beginn der Durchführung erfolgt der Schnitt, die 35. Einstellung zeigt Alex im Bett. Die Paraphrasierung hält an, denn mit der gehetzten Auseinandersetzung der beiden Themen erfolgt auch die Auseinandersetzung von Alex mit seiner Mutter, die ihn statt im Bett lieber in der Schule sehen würde. Die zahlreichen Sequenzierungen und Imitationen finden ihren Spiegel im Dialog der beiden. Mit der Überleitung zur Reprise (Takt 248) ist die Durchführung der beiden Themen beendet – wie auch die Meinungsverschiedenheit von Alex und seiner Mutter (Alex. »O.K., M.!« auf Takt 248). Kubricks Hang zur Symmetrie zeigt sich somit sogar in kleinsten musikalischen Formen. Mit Alex’ Worten »Viel Vergnügen in der Fabrik!« deutet Kubrick an, wie sehr Alex sich über seine Mutter und die Banalität seiner Umwelt lustig macht. Das insistierende Kopfmotiv der Takte 264 bis 271 bestätigt die Bedeutung seiner Worte: durch die


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