doch vereint Beethoven
darin auch verschiedene musikalische Formen wie Sonatenform, Fuge oder Kantate –
alles, was es in der klassischen Epoche überhaupt an Kompositionsformen gegeben hat.
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101 Michael Gielen/Paul Fiebig: Beethoven im Gespräch. Die Neun Sinfonien.
Stuttgart/Weimar 1995, S. 115.
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In
dieser Hinsicht zeigt er in dieser Schaffensperiode auch ein neu gewecktes Interesse an
alten, überkonfessionellen Traditionen der Liturgie und entwickelt eine Begeisterung für
den frommen Gesang. Mit seinem Rückgriff auf die griechische Mythologie werden
darüber hinaus Erinnerungen an die Zeit der Eroica wach.
Wilhelm Seidel betont besonders den ideologischen Gehalt der Sinfonie: hinter dem Werk
stehe die musikalische und moralische Autorität des Komponisten. In Aufzeichnungen
Beethovens aus dieser Zeit finden sich Auszüge aus den beiden großen Epen Homers sowie
aus Werken von Kant, Herder und Schiller. Diese Zitate lassen sich durch Eintragungen
in den Konversationsheften ergänzen. Aus dem Jahr 1820 stammen die berühmten
Äußerungen Beethovens über seine moralische Gesinnung: »Socrates u. Jesus waren mir
Muster« sowie »das Moralische Gesez in unß, u. der gestirnte Himmel über unß’ –
Kant!!!«102
102 Beethoven 1820, zit. n. Köhler/Herre 1972, S. 211/235.
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Sokrates dürfte für den sittlichen Ernst der antiken Philosophie stehen, Jesus für die
christliche Lehre von Liebe und Brüderlichkeit und Kant für den Vernunftglauben der
Aufklärung.103
Die Wahl der Verse aus Schillers Ode an die Freude für das Kantaten-Finale deutet
darauf hin. Diese Idee bildet auch den Hintergrund für die neunte Sinfonie. Gerade
dieses Werk, so Geck, will nicht nur gehört, sondern auch als Ideenkunstwerk verstanden
werden:
»Wenn Beethoven nach zehnjähriger Pause eine neue Sinfonie vorlegt, nachdem
die Achte ja durchaus als Abgesang auf die Gattungstradition hatte gedeutet
werden können, so muß man [...] von vornherein davon ausgehen, daß es
hier nicht ›einfach‹ weitergehen soll, vielmehr Großes auf dem Spiel steht.
Das Bedeutsame darf nicht nur in dem monumentalen Chorfinale gesehen
werden; vielmehr ist der Zusammenhang aller Sätze zu beachten.«104
Die Schillersche Ode ist für Beethoven seit seinen Bonner Jugendjahren von Bedeutung
gewesen. Zu berücksichtigen ist hierbei jedoch, daß die Ode, gedacht als Konfrontation von
Ideal und Wirklichkeit, von dem Republikaner Beethoven als Ode an die Freiheit verstanden
wurde.105
105 Hansjürgen Schaefer: Ludwig van Beethoven. 1770–1827. Mainz 1988, S. 73.
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Die Gedanken von Freiheit, Gleichheit und allgemeiner Verbrüderung, treu den Devisen
der Französischen Revolution, hatte er trotz der allgemeinen Restauration auch in den
zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts noch nicht ausgeträumt. Daß sich die
Sinfonie damit uneinholbar weit von den herrschenden politischen Zuständen der
Restauration, welche lediglich das Scheitern jener bürgerlich revolutionären Ideale
demonstrierte, entfernte wie auch vom musikalischen Usus der Zeit, ist vielmehr die
Konsequenz und weniger die Absicht von Beethovens Konzeption. Sie ist von aktuellen
Gegenbildern wie Rossini, der in dieser Zeit die Bühne beherrschte, vollkommen
unabhängig. Zum einen ist sie musikalisch gesehen auf »bestürzende« Weise neu
(das Chorfinale), zum anderen hält sie an den Ideen des 18. Jahrhunderts fest,
an Leitbegriffen der Aufklärung wie
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