- 358 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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er seine Wut darüber ausdrückte, daß Napoleon sich selbst zum Kaiser gekrönt hatte: »Ist der auch nicht anders wie ein gewöhnlicher Mensch! Nun wird er auch alle Menschenrechte mit Füßen treten, nur seinem Ehrgeize frönen; er wird sich nun höher wie alle anderen stellen; ein Tyrann werden!«97
97 Ludwig van Beethoven 1804, zit. n. Barry Cooper: »Beethovens Ansichten und Weltanschauung.« In: Cooper 1991, S. 172.

Im Falle der Eroica beispielsweise ging es ihm nicht darum, ein sinfonisches Loblied auf Napoleon zu schreiben – erst recht nicht nach dessen Krönung – dem Komponisten geht es vielmehr um die Idee des Heldischen. Diese haftet natürlich zwangsläufig bestimmten geschichtlichen Situationen und Personen an, ist aber nicht auf sie fixiert. Beethovens Freiheitsideale sind von der Französischen Revolution und Bonaparte angeregt, gehen aber nicht mit diesem unter.

Manches Mal äußerte sich Beethoven ganz offen gegen die restriktiven Gesetze, die vor allem nach 1815 in Wien in Kraft traten. Einmal zitierte er aus Schillers Ode an die Freude falsch, indem er schrieb »Prinzen sind Bettler«, was bei einigen den Eindruck erweckte, er wäre gegen eine herrschende Klasse eingestellt. Dies aber scheint nicht der Fall gewesen zu sein. Vielmehr glaubte er an eine Art Leistungsgesellschaft, in der diejenigen, die ein »edle Gesinnung« besaßen einer Elite angehörten. Doch wer Macht hatte, sollte damit auch vernünftig und gewissenhaft umzugehen wissen. Die Personifizierung des weisen Regenten findet sich in vielen seiner Werke, so etwa in der Idealisierung Napoleons in der Eroica oder in der Figur des Ministers Don Fernando im Fidelio. Aus diesem Grunde kann man seine politische Orientierung nicht genau einordnen. Einige seiner Ansichten sind erstaunlich progressiv, z. B. sein Wunsch, »die ganze Welt zu umfassen« und durch die Kunst ein völkerverbindendes Band zu knüpfen. Andererseits brachte er der Arbeiterklasse immer wieder deutlich seine Ablehnung entgegen, was jedoch der damaligen Norm entsprach. So kann man unter Bezugnahme der Ideale der französischen Revolution sagen, Beethoven habe den Gedanken der Freiheit von ganzem Herzen, den der Gleichheit mit Einschränkungen und den Gedanken der Brüderlichkeit nur in begrenztem Maße selbst unterstützt, obwohl er sie in seiner neunten Sinfonie propagierte.98

98 Cooper 1991, S. 174.

Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 9, II. Satz Molto Vivace

Die neunte Sinfonie fällt unter das Spätwerk, das Kompositionen von 1816 bis 1827 umfaßt.99

99 Geck 1997, S. 94.
Beethovens Plan, Schillers Ode an die Freude zu vertonen, entstand bereits im Jahr 1793. Somit spricht nicht unbedingt der Geist der Gegenwart aus dem Werk. Die neunte Sinfonie ist kein Werk der Restauration nach Metternich und des Biedermeier. Sie schöpft aus anderen Quellen, nämlich Beethovens Menschenbild und seinen aufklärerischen Idealen. Beethoven bezeichnete die Sinfonie als »wahre Kunst«. Sie »ist eigensinnig, [. . . ] läßt sich nicht in Schmeichelnde Formen zwängen.«100
100 Ludwig van Beethoven 1823, zit. n. Ludwig van Beethoven: Ludwig van Beethovens Konversationshefte, Bd. I, Hefte 1–10, hrsg. von Karl-Heinz Köhler/Grita Herre. Leipzig 1972, S. 326.
Davon zeugt zunächst natürlich das ungewöhnliche Chorfinale,

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