er
seine Wut darüber ausdrückte, daß Napoleon sich selbst zum Kaiser gekrönt
hatte:
»Ist der auch nicht anders wie ein gewöhnlicher Mensch! Nun wird er auch
alle Menschenrechte mit Füßen treten, nur seinem Ehrgeize frönen; er wird
sich nun höher wie alle anderen stellen; ein Tyrann werden!«97
97 Ludwig van Beethoven 1804, zit. n. Barry Cooper: »Beethovens Ansichten und
Weltanschauung.« In: Cooper 1991, S. 172.
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Im Falle der Eroica beispielsweise ging es ihm nicht darum, ein sinfonisches Loblied
auf Napoleon zu schreiben – erst recht nicht nach dessen Krönung – dem Komponisten
geht es vielmehr um die Idee des Heldischen. Diese haftet natürlich zwangsläufig
bestimmten geschichtlichen Situationen und Personen an, ist aber nicht auf sie fixiert.
Beethovens Freiheitsideale sind von der Französischen Revolution und Bonaparte
angeregt, gehen aber nicht mit diesem unter.
Manches Mal äußerte sich Beethoven ganz offen gegen die restriktiven Gesetze, die vor
allem nach 1815 in Wien in Kraft traten. Einmal zitierte er aus Schillers Ode an die
Freude falsch, indem er schrieb »Prinzen sind Bettler«, was bei einigen den Eindruck
erweckte, er wäre gegen eine herrschende Klasse eingestellt. Dies aber scheint nicht der
Fall gewesen zu sein. Vielmehr glaubte er an eine Art Leistungsgesellschaft, in der
diejenigen, die ein »edle Gesinnung« besaßen einer Elite angehörten. Doch wer Macht
hatte, sollte damit auch vernünftig und gewissenhaft umzugehen wissen. Die
Personifizierung des weisen Regenten findet sich in vielen seiner Werke, so etwa in der
Idealisierung Napoleons in der Eroica oder in der Figur des Ministers Don
Fernando im Fidelio. Aus diesem Grunde kann man seine politische Orientierung
nicht genau einordnen. Einige seiner Ansichten sind erstaunlich progressiv,
z. B. sein Wunsch, »die ganze Welt zu umfassen« und durch die Kunst ein
völkerverbindendes Band zu knüpfen. Andererseits brachte er der Arbeiterklasse immer
wieder deutlich seine Ablehnung entgegen, was jedoch der damaligen Norm
entsprach. So kann man unter Bezugnahme der Ideale der französischen Revolution
sagen, Beethoven habe den Gedanken der Freiheit von ganzem Herzen, den der
Gleichheit mit Einschränkungen und den Gedanken der Brüderlichkeit nur in
begrenztem Maße selbst unterstützt, obwohl er sie in seiner neunten Sinfonie
propagierte.98
Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 9, II. Satz Molto Vivace
Die neunte Sinfonie fällt unter das Spätwerk, das Kompositionen von 1816 bis 1827
umfaßt.99
Beethovens Plan, Schillers Ode an die Freude zu vertonen, entstand bereits im Jahr
1793. Somit spricht nicht unbedingt der Geist der Gegenwart aus dem Werk.
Die neunte Sinfonie ist kein Werk der Restauration nach Metternich und des
Biedermeier. Sie schöpft aus anderen Quellen, nämlich Beethovens Menschenbild und
seinen aufklärerischen Idealen. Beethoven bezeichnete die Sinfonie als »wahre
Kunst«. Sie »ist eigensinnig, [. . . ] läßt sich nicht in Schmeichelnde Formen
zwängen.«100
100 Ludwig van Beethoven 1823, zit. n. Ludwig van Beethoven: Ludwig van Beethovens
Konversationshefte, Bd. I, Hefte 1–10, hrsg. von Karl-Heinz Köhler/Grita Herre. Leipzig
1972, S. 326.
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Davon zeugt zunächst natürlich das ungewöhnliche Chorfinale,
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