zum reinen Publikum ergab sich, daß
Komponisten wie Beethoven ihre Werke nun nicht mehr der aristokratischen Schicht als ihr
dienende Untergebene präsentierten, sondern vielmehr als autonome und selbstverantwortliche
Gestalter menschheitsgültiger Ideen, die sie dem amorphen Publikum in ihren Kunstwerken
präsentierten.92
92 Nicholas Marston: »Historischer Hintergrund. Mäzenatentum und die Stellung des
Künstlers in der Gesellschaft.« In: Cooper 1991b, S. 78–81.
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Doch bleiben die Kunstwerke dabei stets autonom. Durch Beethoven wurde die
musikalische Kunst auf eine ganz neue Stufe gehoben. Sie wird »absolut« im
Sinne einer Musik, die weder als Gebrauchsmusik nur innerhalb eines genau
umschriebenen gesellschaftlichen Kontextes verständlich ist, noch als dienende Kunst der
Verständlichkeit eines Textes oder dramatischen Sujets unterworfen ist. Musik sagt
gerade das nicht Sagbare, ist reiner Geist, wenngleich sinnlich nah wie keine andere
Kunst. Sie ist nicht mehr Auftrags- und Unterhaltungskunst, sie dient nicht mehr der
Darstellung von Affekten, sie ist tönende Philosophie. Sie hat Anteil an den Ideen und
Strömungen ihrer Zeit und vollzieht den menschheitsverbindenden Sinn der Musik. In
dieser Hinsicht spricht Bekker bei Beethovens Sinfonien auch von einer »musikalischen
Volksversammlung«.93
93 Paul Bekker: Die Sinfonie von Beethoven bis Mahler. Berlin 1918, S. 15.
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Beethoven verwendet sie nicht als Sujet für irgendeine Art von
Programmusik. Sie werden vielmehr in eine eigenständige Form
gegossen.94
So tragen besonders Beethovens Sinfonien Ideen, die durch eine
tönende Darstellung deutlich gemacht werden (Beethoven »redet in
Tönen«95),
doch bleiben sie beim Ideenkunstwerk, das jenseits der Auslegungen einen autonomen
ideellen Bestand hat. Der Idealismus kann sich nur noch im Kunstwerk manifestieren,
das dadurch zu »Erhabenheit« aufsteigt. In dieser Hinsicht wird die Wiederentdeckung
Bachs im 19. Jahrhundert oft unbefangen in einem Atemzug genannt mit der
Durchsetzung des Ideenkunstwerks durch Beethoven. Das Verbindende zwischen
beiden ist die Vorstellung einer geistigen Größe, die nationale Identität schafft
und sich gegen die Oberflächlichkeit von Salonmusik und italienischer Oper
wendet.
Somit war die Sichtweise seiner eigenen Kompositionen vor allem geprägt von der
Kunstauffassung der Musik als einer erhebenden Kraft. Er betrachtete es als
ein Aufgabe des Künstlers, die Menschheit durch seine Kunst jener ideellen
Erhabenheit und göttlichen Ebene näherzubringen. Trotz aller seiner Bemühungen
um ideell hohe Werte in seinen Kunstwerken konnten die Schwierigkeiten und
Widrigkeiten des Lebens nicht bewältigt werden. Beethoven reagiert darauf
in stoischer Akzeptanz, beispielsweise im Falle seiner Taubheit. Doch seinen
Idealismus im autonomen Kunstwerk zu manifestieren, war das eigentlich Neue,
das durch Beethoven dem ästhetischen Bewußtsein des Zeitalters aufgedrängt
wurde.96
Aus diesem Grunde wurde er als führender Komponist der Zeit nach der Französischen
Revolution häufig als Urheber einer vergleichbaren Revolution in der Musik betrachtet.
Aus dieser Sicht fällt es leicht, sich vorzustellen, daß seine Sympathien mit den Idealen
von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit im wesentlichen Einklang fanden. Dies zeigt
sich besonders in einem seiner wenigen politischen Kommentare, in dem
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