und widersprüchlich. Das hinderte jedoch
Künstler wie Beethoven nicht daran, sich vom Genius der Zeit beflügeln zu lassen. Doch
könne man, so Geck, den politischen Zeitbeobachter und Komponisten Beethoven
nicht unbedingt in Einklang zwingen. Zwar hallen durch seine Sinfonien die Klänge
der Französischen Revolution, doch macht ihn dies noch lange nicht zum Jakobiner.
Bei allem Reichtum an Perspektiven liegt die Bedeutung der Beethovenschen Musik
in ihrer zusammenfassenden und einenden Kraft. Sie bietet kein Forum für platte
ideologische Vereinnahmungen, aber sie ist freilich offen für Deutungen ideologischer
Intentionen.81
Philosophische und ästhetische Strömungen
Ein Jahr nach Beethovens Geburt veröffentlichte Johann Georg Sulzer seine Allgemeine Theorie der
schönen Künste. Goethes einflußreicher Briefroman Die Leiden des jungen Werthers erschien
1774. Kants Kritik der Urteilskraft wurde 1790 veröffentlicht. Um die Jahrhundertwende legten
Autoren wie Herder, Tieck, Wackenroder, Novalis und die Brüder Schlegel Grundsteine früher
romantischer Literaturkritik. Dies zeigt, wie schwierig es im Grunde ist, eindeutige
Trennlinien in den geistigen Strömungen in diesem für Beethoven wichtigen Zeitraum zu
ziehen.82
82 Nicholas Marston: »Historischer Hintergrund. Geistige Strömungen: Philosophie und Ästhetik.«
In: Cooper 1991a, S. 74.
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Dennoch gibt es im Bereich der Musikästhetik eine weitreichende und
deutliche Veränderung. Um 1800 entsteht die Idee der Metaphysik der
Instrumentalmusik.83
83 Vgl. auch Kap. 11.1.3.1.
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Im 18. Jahrhundert orientierte sich die Kunst maßgeblich an der Lehre des Aristoteles als einer
»Nachahmung der Natur«. Entsprechend der aufklärerischen Lehre dient die Musik als
einflußreiches Mittel zur Hebung der Moral. Unter den Künsten hat sie Kant zufolge jedoch
den untersten Platz, da sie bloß mit Empfindungen spielt. Dazu zählte vor allem die
Instrumentalmusik, die nun kritisch betrachtet wurde, da sie »nur« Empfindungen weckt, etwas,
was durch die Ratio nicht zu erfassen ist. Infolgedessen wurde der reinen Instrumentalmusik ein
geringer Stellenwert beigemessen. Sie mußte die Verbindung mit dem Wort eingehen – etwa wie
in der Oper – um einen erfaßbaren Sinn und da-mit moralischen Einfluß zu gewinnen. Diese
Einstellung wandelt sich nun mit der Jahrhundertwende. Mit der provozierenden Idee, daß sich
in reiner Instrumentalmusik Geist manifestiere, beginnt die Musik, sich endgültig von der
Vorstellung zu emanzipieren, stets zu Diensten sein zu müssen und sich ihrer ganzen Würde
bewußt wird. Die Ideale von Universalität, Rationalität und Klarheit machen nun jener
Denkweise Platz, die der individuellen und irrationalen Undurchschaubarkeit den
höchsten Platz einräumt. In diesem Umfeld wird die Instrumentalmusik wieder als die
höchste der musikalischen Formen angesehen, da sie gerade wegen ihrer mangelnden
Bezugnahme Platz für individuelle Empfindungen läßt, so daß Schopenhauer letztlich
feststellte:
»Weil die Musik nicht gleich allen andern Künsten die Ideen oder Stufen der
Objektivation des Willens, sondern unmittelbar den Willen selbst darstellt;
so ist hieraus auch erklärlich, daß sie auf den Willen, d.i. die Gefühle,
Leidenschaften und Affekte des Hörers unmittelbar einwirkt, so daß sie dieselben
schnell erhöht oder auch umstimmt.«84
84 Schopenhauer 1818, Bd. II, 1996, S. 574.
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Sie sei eine allgemeine Sprache, die jedoch deutlicher sei als die anschauliche Welt. Im Falle
von Beethoven – wie überhaupt in der Musik – nun eine eindeutige Trennungslinie
zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert zu ziehen, ist im Gegensatz zur Literatur
schwierig, da es fraglich ist, ob der Komponist sich dieser sich verändernden Situation
bewußt war. Wie auch immer der Einfluß der romantischen Ästhetik gewirkt haben
mag, Beethoven wurde zweifelsohne sehr schnell zum Inbegriff des romantischen
Komponisten. Auch
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