- 354 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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zu verstehen ist.77
77 Geck 1997, S. 9–10.
Dieser Ansatz soll auch und besonders im Falle der neunten Sinfonie verfolgt werden. Darüber hinaus entspricht er dem von der These geforderten Denkansatz.

Erst elf Jahre nach seiner achten Sinfonie beendete Beethoven (1770–1827) die neunte Sinfonie in d-Moll. Sie entstand in den Jahren 1823/24 und wurde am 7. Mai 1824 im Wiener Hoftheater uraufgeführt. Die Gründe für die lange Zeitspanne zwischen der achten und der neunten Sinfonie sind vielfältig. Nicht nur plagen Beethoven zu dieser Zeit Krankheit und andere häusliche Sorgen, sondern vor allem auch die politischen und musikalischen Verhältnisse, die sich gewandelt hatten.

Politischer Hintergrund

Die Restauration dominiert in dieser Zeit, was Beethoven nur schwerlich passen konnte. Der Wiener Kongreß von 1814/15 brachte die Restauration der alten Mächte. Österreich hatte politisch wie territorial über den Sturz Napoleons triumphiert. Als Metternich nach dem Sieg über Napoleon die Einberufung des Friedenskongresses nach Wien erklärte, stand die Stadt erneut im politischen Rampenlicht. In dieser Hinsicht nahm Wien schnell seine Rolle als die Stadt überschwenglicher Lebensfreude und Unterhaltung wieder auf. Der österreichische Kaiser Franz I. war bestrebt, Macht und Einfluß des habsburgischen Reiches wiederherzustellen. Dieses Vorhaben fand taktische Unterstützung durch Metternich, der nun als Staatskanzler darauf hinarbeitete, international ausgewogene Machtverhältnisse zwischen Österreich und den anderen Staaten zu erreichen, innenpolitisch jedoch kompromißlos demokratische Bewegungen im Sinne der Restauration unterdrückte. So wehrte der Wiener Kongreß die von der Französischen Revolution ausgehenden nationalen und liberalen Anstöße ab und wahrte das Bestehende. Unter der scharfen Zensur von Metternich konnte sich liberales Gedankengut kaum ausbreiten. Als der Kongreß zu Ende ging, hatte Wien sein Antlitz verändert. Die Stadt war verarmt, ein Teil des Adels unwiderruflich bankrott. Geldverleiher und Bankiers gewannen nun an Bedeutung, die Macht der Unternehmer nahm zu. Zukünftig kam es ihnen zu, die Förderung des künstlerischen und musikalischen Lebens zu übernehmen.78

78 Wilhelm Seidel: »9. Symphonie d-Moll, op. 125.« In: Riethmüller/Dahlhaus/Ringer 1994, Bd. II, S. 252–253; vgl. auch Anne-Louise Coldicott: »Historischer Hintergrund. Die politischen Verhältnisse.« In: Barry Cooper (Hrsg.): Das Beethoven-Kompendium. Sein Leben – seine Musik. London 1991, S. 68–73.

Dahlhaus bezeichnet Beethoven als einen – freilich enttäuschten – Fürsprecher der Französischen Revolution, als einen »Anhänger nicht allein der Idee, sondern auch der wie immer fragmentarischen Realisierung.«79

79 Carl Dahlhaus: Ludwig van Beethoven und seine Zeit. Laaber 1987, S.42.
Geck hingegen stellt die Frage, ob Beethoven lediglich ein Anhänger Napoleons als des Vollstreckers und Vernichters dieser Revolution war. Er behandelt diese Frage in einem allgemeineren Kontext. Die von Beethoven apostrophierten »Bessern und Weisen« seiner Zeit waren von dem Wunsch beseelt, dem gesellschaftlichen, sogar menschlichen Fortschritt »Kopf, Herz und Hand« zu leihen. In Frankreich entfachte die Glut von Aufklärung und Rousseau-Nachfolge das Feuer der Revolution. In Deutschland förderten konzentrierte Denkbewegungen die Philosophie und Kunst des Idealismus. Beiden gemeinsam, so Geck, sind die Ablehnung des »alten«, die Individualität und Freiheit des einzelnen fesselnden Systems und der Glaube an die Bereitschaft des mündigen Menschen, seine Fähigkeiten in sittlicher Verantwortung zum Wohl des Ganzen einzusetzen.80
80 Geck 1997, S. 22.
Die Haltungen und Handlungen der Zeitgenossen mögen zwar großherzig und weitsichtig gewesen sein, doch genauso oft unklar, halbherzig

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