Neben Rossinis Persönlichkeit wird seine Musik stets in gleichem Atemzug mit der
Politik seines Landes genannt. Seine Lebenszeit umfaßt die Epoche der Französischen
Revolution, die napoleonischen Jahre und die Restauration. In seinem Todesjahr hatte
die Risorgimentobewegung ihr Ziel, die nationale Einheit Italiens, fast erreicht. Lediglich
der Anschluß Roms an das neue Königreich erfolgte erst im Jahre 1870. In den Jahren
1815 bis 1830 beherrschten Rossinis Opern die Spielpläne der europäischen Theater.
Seine Karriere begann in der napoleonischen Zeit und erreichte in den Jahren der
Restauration ihren Höhepunkt. In der Literatur wird das Thema »Rossini und die
Politik« in der Regel als Teil der Frage behandelt, ob und inwiefern die Werke des
Komponisten als musikalischer Ausdruck einer historischen Situation zu sehen
sind. Dabei stehen sich meist zwei Meinungen gegenüber: die einen sagen, aus
Rossinis Musik spreche der Geist der Restaurationszeit, das heißt ein Bedürfnis
nach Ruhe im nachnapoleonischen Europa. Berlioz warf Rossini »melodischen
Zynismus« vor. Wagner bezeichnete ihn auch als »Komponist der Restauration«
oder als »Metternich der Musik«. Die andere Seite hört aus seiner Musik den
Geist der Revolution. Beides für sich genommen, wäre allzu einseitig, so urteilt
Scherliess.53
53 Scherliess 1993, S. 74.
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Im Gegensatz zu manchen Zeitgenossen ließe sich in Rossinis Musik eine politische Botschaft
nicht vordergründig ablesen, doch oftmals schwingt sie mit, nicht nur in den Stoffen,
sondern auch in der Musik selbst. In ihrer mitreißenden Vitalität lebt jener »élan
terrible« weiter, der einst die französische Revolutionsmusik befeuert hatte. Er äußert
sich in aufreizenden Bewegungsimpulsen, rhythmisch scharf konturierten Themen und
erregt-punktierter Begleitung. Diese Mittel sind oft nur des reinen Effektes willen eingesetzt,
ihre semantische Kraft ist jedoch auch im Hinblick auf die Zeit des Risorgimento noch
spürbar.54
54 Scherliess 1993, S. 74–75.
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Besonders in der deutschen Musikwissenschaft geht man hier gerne von Heinrich Heines
berühmten Äußerungen aus:
»Dem armen geknechteten Italien ist ja das Sprechen verboten und es darf
nur durch Musik die Gefühle seines Herzens kund geben. All sein Groll gegen
fremde Herrschaft, seine Begeisterung für die Freiheit, sein Wahnsinn über
das Gefühl der Ohnmacht, seine Wehmut bei der Erinnerung an vergangene
Herrlichkeit, dabei sein leises Hoffen, [...] all dieses verkappt sich in jene
Melodien, die von grotesker Lebenstrunkenheit zu elegischer Weichheit herabgleiten,
und in jene Pantomimen, die von schmeichelnden Karessen zu drohendem
Ingrimm überschnappen. Das ist der esoterische Sinn der Opera buffa. Die
exoterische Schildwache, in deren Gegenwart sie gesungen und dargestellt
wird, ahnt nimmermehr die Bedeutung dieser heiteren Liebesgeschichten [...],
worunter der Italiener seine tödlichsten Befreiungsgedanken verbirgt [...].«55
55 Heinrich Heine: Reisebilder, III. Teil: Italien (1828) (= Sämtliche Schriften, hrsg. von
Klaus Briegleb, Bd. 3). München 1976, S. 353–354.
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Heine lieferte jedoch auch noch eine von diesen Äußerungen abweichende
Interpretation:
»Rossinis Musik war [im Vergleich zu Meyerbeers] angemessener für die
Zeit der Restauration, wo, nach großen Kämpfen und Enttäuschungen, bei
den blasierten Menschen der Sinn für ihre großen Gesamtinteressen in den
Hintergrund zurückweichen mußte und die Gefühle der Ichheit wieder in ihre
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