- 342 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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Neben Rossinis Persönlichkeit wird seine Musik stets in gleichem Atemzug mit der Politik seines Landes genannt. Seine Lebenszeit umfaßt die Epoche der Französischen Revolution, die napoleonischen Jahre und die Restauration. In seinem Todesjahr hatte die Risorgimentobewegung ihr Ziel, die nationale Einheit Italiens, fast erreicht. Lediglich der Anschluß Roms an das neue Königreich erfolgte erst im Jahre 1870. In den Jahren 1815 bis 1830 beherrschten Rossinis Opern die Spielpläne der europäischen Theater. Seine Karriere begann in der napoleonischen Zeit und erreichte in den Jahren der Restauration ihren Höhepunkt. In der Literatur wird das Thema »Rossini und die Politik« in der Regel als Teil der Frage behandelt, ob und inwiefern die Werke des Komponisten als musikalischer Ausdruck einer historischen Situation zu sehen sind. Dabei stehen sich meist zwei Meinungen gegenüber: die einen sagen, aus Rossinis Musik spreche der Geist der Restaurationszeit, das heißt ein Bedürfnis nach Ruhe im nachnapoleonischen Europa. Berlioz warf Rossini »melodischen Zynismus« vor. Wagner bezeichnete ihn auch als »Komponist der Restauration« oder als »Metternich der Musik«. Die andere Seite hört aus seiner Musik den Geist der Revolution. Beides für sich genommen, wäre allzu einseitig, so urteilt Scherliess.53
53 Scherliess 1993, S. 74.
Im Gegensatz zu manchen Zeitgenossen ließe sich in Rossinis Musik eine politische Botschaft nicht vordergründig ablesen, doch oftmals schwingt sie mit, nicht nur in den Stoffen, sondern auch in der Musik selbst. In ihrer mitreißenden Vitalität lebt jener »élan terrible« weiter, der einst die französische Revolutionsmusik befeuert hatte. Er äußert sich in aufreizenden Bewegungsimpulsen, rhythmisch scharf konturierten Themen und erregt-punktierter Begleitung. Diese Mittel sind oft nur des reinen Effektes willen eingesetzt, ihre semantische Kraft ist jedoch auch im Hinblick auf die Zeit des Risorgimento noch spürbar.54
54 Scherliess 1993, S. 74–75.
Besonders in der deutschen Musikwissenschaft geht man hier gerne von Heinrich Heines berühmten Äußerungen aus: »Dem armen geknechteten Italien ist ja das Sprechen verboten und es darf nur durch Musik die Gefühle seines Herzens kund geben. All sein Groll gegen fremde Herrschaft, seine Begeisterung für die Freiheit, sein Wahnsinn über das Gefühl der Ohnmacht, seine Wehmut bei der Erinnerung an vergangene Herrlichkeit, dabei sein leises Hoffen, [...] all dieses verkappt sich in jene Melodien, die von grotesker Lebenstrunkenheit zu elegischer Weichheit herabgleiten, und in jene Pantomimen, die von schmeichelnden Karessen zu drohendem Ingrimm überschnappen. Das ist der esoterische Sinn der Opera buffa. Die exoterische Schildwache, in deren Gegenwart sie gesungen und dargestellt wird, ahnt nimmermehr die Bedeutung dieser heiteren Liebesgeschichten [...], worunter der Italiener seine tödlichsten Befreiungsgedanken verbirgt [...].«55
55 Heinrich Heine: Reisebilder, III. Teil: Italien (1828) (= Sämtliche Schriften, hrsg. von Klaus Briegleb, Bd. 3). München 1976, S. 353–354.

Heine lieferte jedoch auch noch eine von diesen Äußerungen abweichende Interpretation: »Rossinis Musik war [im Vergleich zu Meyerbeers] angemessener für die Zeit der Restauration, wo, nach großen Kämpfen und Enttäuschungen, bei den blasierten Menschen der Sinn für ihre großen Gesamtinteressen in den Hintergrund zurückweichen mußte und die Gefühle der Ichheit wieder in ihre


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