zusammenschlagen. Die Rollen sind vertauscht, Alex wird zum Opfer. Der Zuschauer
kann mit den früheren Opfern kein Mitleid mehr haben, denn sie werden nun selbst
zu skrupellosen Tätern in einem räderhaftem System, in dem die Charaktere
austauschbare Figuren sind. Carlos’ frostiges Purcell-Thema karikiert dies,
während Dim und Georgie Alex zu einem abgelegen Platz im Wald fahren.
Zuletzt begegnet Alex seinem früheren Opfer Mr. Alexander, der in ihm zunächst
nur das Opfer der Ludovico-Methode sieht und ihn als politisches Druckmittel
mißbrauchen will. Als Alex’ jedoch Kellys Song trällert, erkennt er ihn wieder und
rächt sich an ihm. Bezeichnenderweise trägt Alex in dieser Szene jenen roten
Bademantel, den der Schriftsteller zuvor bei der Vergewaltigung seiner Frau trug. Die
Rollen sind vertauscht, Alex wird zum Opfer des Schriftstellers. Empfand er bei
der ersten Vorführung des zweiten Satzes der neunten Sinfonie Beethovens
noch berauschende Augenblickserfahrung durch jene »liebliche Bilder« von
Hinrichtungen und Katastrophen, so wird die Musik nun zu Alex’ Alptraum.
Mit sichtlichem Genuß spielt der Schriftsteller ihm in voller Lautstärke das
Band vor, wobei sein Gesicht sich zu einer Fratze verzerrt, die der Beethovens
gleicht. Alex’ Todessehnsucht wird durch Carlos’ verzerrte Synthesizerfassung
paraphrasiert, deren Klänge ineinander verschwimmen und Alex’ traumatischen Zustand
widerspiegeln.
Sein anschließender Selbstmordversuch ist der Tiefpunkt seiner »Passion«, stellt jedoch
auch zugleich den Wendepunkt dar, denn der Schock »heilt« ihn. Hier schließt
sich der Kreis der Handlungstrilogie. Die Presse stellt ihn als staatliches Opfer
dar, das erregende Moment für Alex’ Wiedereingliederung in die Gesellschaft:
seine Eltern wollen ihn wider bei sich aufnehmen. Bei einem psychologischen
Test reagiert Alex mit Gewaltsprüchen – normal nach Ansicht der Psychologin
(Steigerung). Der Besuch des Innenministers, der durch die Presse öffentlich unter
Druck geraten ist, besucht ihn im Krankenhaus und bietet ihm einen Job in
der Regierung an. So wie Alex zuvor aus der Gesellschaft herausgenommen
wurde, so wurde nun Mr. Alexander durch die Regierung »beseitigt«. Alex’
natürliche Gewaltbereitschaft wird hingegen staatlich legitimiert. Seine Heilung
dokumentiert Kubrick mit Alex’ Vision, in der er gewaltsam mit einer Frau
kopuliert. Mit dem »Happy-End« schließt sich auch die Trilogie der Handlung. Alex’
Triebe sind rehabilitiert, ihre sanktionierte Kanalisierung und der gewünschte
gesellschaftliche Aufstieg ins vornehmere Milieu, das Alex durch Sprache und
Gesten immer zu imitieren versuchte, scheinen in seiner abschließenden Vision
erreicht.
11.2.3. Gioacchino Rossini: Die Diebische Elster, Ouvertüre
11.2.3.1 Der musikalische Kontext des Zitats
Gioacchino Rossini (1792–1868) war gerade 25 Jahre alt, als die Oper Die Diebische
Elster/La Gazza Ladra am 31. Mai 1817 in der Mailänder Scala uraufgeführt wurde.
Dem Werk lag ein Rührstück zugrunde, La Pie voleuse ou La Servante de Palaiseau aus
dem Jahre 1815 von Théodore Baudouin d’Aubigny und Louis-Charles Caigniez. Es
beruht auf einer angeblich wahren Begebenheit, nach der ein Dienstmädchen
wegen des Diebstahls von Silberbesteck zum Tode verurteilt wurde, das in
Wirklichkeit von einer Elster gestohlen war. Rossini übernimmt diesen Inhalt,
wobei in seinem Libretto die wahre Missetäterin entdeckt wird, so daß die
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