- 340 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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zusammenschlagen. Die Rollen sind vertauscht, Alex wird zum Opfer. Der Zuschauer kann mit den früheren Opfern kein Mitleid mehr haben, denn sie werden nun selbst zu skrupellosen Tätern in einem räderhaftem System, in dem die Charaktere austauschbare Figuren sind. Carlos’ frostiges Purcell-Thema karikiert dies, während Dim und Georgie Alex zu einem abgelegen Platz im Wald fahren. Zuletzt begegnet Alex seinem früheren Opfer Mr. Alexander, der in ihm zunächst nur das Opfer der Ludovico-Methode sieht und ihn als politisches Druckmittel mißbrauchen will. Als Alex’ jedoch Kellys Song trällert, erkennt er ihn wieder und rächt sich an ihm. Bezeichnenderweise trägt Alex in dieser Szene jenen roten Bademantel, den der Schriftsteller zuvor bei der Vergewaltigung seiner Frau trug. Die Rollen sind vertauscht, Alex wird zum Opfer des Schriftstellers. Empfand er bei der ersten Vorführung des zweiten Satzes der neunten Sinfonie Beethovens noch berauschende Augenblickserfahrung durch jene »liebliche Bilder« von Hinrichtungen und Katastrophen, so wird die Musik nun zu Alex’ Alptraum. Mit sichtlichem Genuß spielt der Schriftsteller ihm in voller Lautstärke das Band vor, wobei sein Gesicht sich zu einer Fratze verzerrt, die der Beethovens gleicht. Alex’ Todessehnsucht wird durch Carlos’ verzerrte Synthesizerfassung paraphrasiert, deren Klänge ineinander verschwimmen und Alex’ traumatischen Zustand widerspiegeln.

Sein anschließender Selbstmordversuch ist der Tiefpunkt seiner »Passion«, stellt jedoch auch zugleich den Wendepunkt dar, denn der Schock »heilt« ihn. Hier schließt sich der Kreis der Handlungstrilogie. Die Presse stellt ihn als staatliches Opfer dar, das erregende Moment für Alex’ Wiedereingliederung in die Gesellschaft: seine Eltern wollen ihn wider bei sich aufnehmen. Bei einem psychologischen Test reagiert Alex mit Gewaltsprüchen – normal nach Ansicht der Psychologin (Steigerung). Der Besuch des Innenministers, der durch die Presse öffentlich unter Druck geraten ist, besucht ihn im Krankenhaus und bietet ihm einen Job in der Regierung an. So wie Alex zuvor aus der Gesellschaft herausgenommen wurde, so wurde nun Mr. Alexander durch die Regierung »beseitigt«. Alex’ natürliche Gewaltbereitschaft wird hingegen staatlich legitimiert. Seine Heilung dokumentiert Kubrick mit Alex’ Vision, in der er gewaltsam mit einer Frau kopuliert. Mit dem »Happy-End« schließt sich auch die Trilogie der Handlung. Alex’ Triebe sind rehabilitiert, ihre sanktionierte Kanalisierung und der gewünschte gesellschaftliche Aufstieg ins vornehmere Milieu, das Alex durch Sprache und Gesten immer zu imitieren versuchte, scheinen in seiner abschließenden Vision erreicht.

11.2.3.  Gioacchino Rossini: Die Diebische Elster, Ouvertüre

11.2.3.1 Der musikalische Kontext des Zitats

Gioacchino Rossini (1792–1868) war gerade 25 Jahre alt, als die Oper Die Diebische Elster/La Gazza Ladra am 31. Mai 1817 in der Mailänder Scala uraufgeführt wurde. Dem Werk lag ein Rührstück zugrunde, La Pie voleuse ou La Servante de Palaiseau aus dem Jahre 1815 von Théodore Baudouin d’Aubigny und Louis-Charles Caigniez. Es beruht auf einer angeblich wahren Begebenheit, nach der ein Dienstmädchen wegen des Diebstahls von Silberbesteck zum Tode verurteilt wurde, das in Wirklichkeit von einer Elster gestohlen war. Rossini übernimmt diesen Inhalt, wobei in seinem Libretto die wahre Missetäterin entdeckt wird, so daß die


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