Analyseebenen wird im Laufe der folgenden Ausführungen erläutert. Hans
Erdmann und Giuseppe Becce teilten ihre Musik-Bild-Zuordnungen in drei
Begriffe: die Expression, die sich dem Ausdruck des Bildes unterordnet, die
Incidenz-Musik, welche meist als Bildton motiviert ist und sich ebenfalls dem visuellen
Geschehen anpaßt, und die deskriptive Musik, die sich zum Bild eher äußerlich
verhält.15
15 Hans Erdmann/Giuseppe Becce: Allgemeines Handbuch der Film-Musik, Bd. I.
Berlin-Lichterfelde/Leipzig 1927, S. 5–6.
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Lissas Systematisierung der Zuordnung von auditiver und visueller Schicht im
Film erschöpft sich zunächst in einer Aufzählung bekannter Autoren und ihrer
Systematisierungsmethoden. Doch droht die von ihr beabsichtigte Systematisierung im
Detail zu versinken. Hier sollen lediglich einige Beispiele angeführt werden. Der früheste
Versuch findet sich im Manifest zum Tonfilm von Eisenstein, Pudowkin und Alexandrow,
in welcher der bereits definierte Synchronismus und Kontrapunkt gegenübergestellt
werden. In seinen späteren Arbeiten wendet sich Eisenstein dem Synchronismus zu und
unterscheidet zwischen dem natürlichen Synchronismus, in dem der Ton zum gezeigten
Gegenstand gehört, z.B. Räderrattern zur Bewegung eines Zuges, und dem
künstlerischen Synchronismus, in dem die Struktur des Klanges in Bewegung, Rhythmus,
Farbe u.ä. der des Bildes analog entspricht. Spottiswoode versucht im Jahre 1935, die
Zuordnung der Musik nach ihren Aufgaben zu systematisieren. Er teilt sie ein in
imitatorische Musik, die reale Geräusche stilisiert, kommentierende Musik, die ein
bestimmtes Verhältnis des Zuschauers zum Bild herstellt; weiterhin unterscheidet er
zwischen betonender Musik, welche die Bildinhalte unterstreicht, und kontrastierender
Musik sowie dynamisierender Musik, welche den Rhythmus und die Bewegung im Bild
unterstreicht.16
16 Spottiswoode 1935, zit. n. Lissa 1965, S. 108.
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Diese Art der Zuordnung entspricht vollständig den Standards des Hollywood-Film der
dreißiger Jahre. Weitaus breiter gefächert ist die Bandbreite der Zuordnungen des
sowjetischen Ästhetikers Joffe. Als Hauptkriterium verwendet er den Grad der Aktivität
der Musik dem Bild gegenüber. Er unterscheidet folgende Zuordnungen: die Musik bildet
eine Einheit mit dem Bild, indem sie es unterstreicht und ergänzt. Joffe nennt dies eine
synthetisierende Funktion. Zum zweiten wirkt die Musik mit dem Bild zusammen, behält
aber ihre Selbständigkeit; die Musik wirkt kontrapunktisch, sie funktioniert als
Verbindung zwischen den Bildern; andererseits kann sie als Metapher oder als Symbol
dem Bild gegenübertreten. Musik kann auch mit Geräuschen in Korrelation treten.
Darüber hinaus kann sie über Ort und Zeit der Handlung informieren, Stimmungen
schaffen oder den Hintergrund bilden, auf dem andere auditive Erscheinungen
hervortreten.17
17 Joffe 1937, zit. n. Lissa 1965, S. 109.
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Kracauer unterscheidet folgende Bild-Musik-Zuordnungen: kommentierende Musik,
worunter der Autor sowohl zum Bild parallele als auch kontrapunktische Musik faßt,
aktuelle Musik, die als Zufallsmusik im Bild gemeinsam mit ihrer Quelle in
ihrer natürlichen Rolle auftritt; Musik als Bestandteil der Umgebung, in der
die Handlung spielt, als auch Musik als Kristallisationskern des Films, z.B.
verbildlichte Musik in Form von Natur- oder nostalgischen Städteaufnahmen sowie
Opernfilme.18
18 Kracauer 1996, S. 193–210.
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Gallez wertet Kracauers Theorie jedoch lediglich als eine Synthese der Ausführungen von
Spottiswoode und Eisenstein. Darüber hinaus kritisiert er Kracauers Terminologie,
wenn dieser den Begriff der »Aktuellen Begleitmusik«
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