repräsentiert nicht nur sich selbst, sondern zugleich auch die der filmischen Welt
zugehörige Erscheinung. Dies setzt Lissa mit Realismusgewinn der Musik gleich, was –
wie bereits geschildert – erheblich relativiert werden muß. In dem Gegensatz zwischen
der Perzeption von Auge und Ohr liegt sogleich auch die Entsprechung im Film. Das
Auge nimmt nur Ausschnitte der Umgebung wahr, so bedient sich auch der Film als
Ganzes gesehen nicht einer kontinuierlichen Form der Darstellung, sondern bietet nur
eine Auswahl gewisser Fragmente. Die Musik dagegen fließt in einem einheitlichen Strom
über die Sprünge des Bildes hinweg. Doch im Vergleich von Kontinuität und Einheit des
musikalischen Ablaufes auf den Sequenzabschnitten des Films liegt das Problem genau
umgekehrt. Hier zieht sich die Fabel einheitlich durch alle Sequenzen, die diese
zu einer Ganzheit verbinden, während die Musik in dieser Beziehung keine
kontinuierliche und homogene Form hat, da sie beispielsweise durch Dialog unterbrochen
wird. Beide Sphären sind also kontinuierlich und nichtkontinuierlich zugleich.
Diese Gegensätzlichkeit gestattet es diesen beiden Faktoren, sich gegenseitig zu
unterstützen, die Nichtkontinuität des einen durch Kontinuität des anderen
auszugleichen.13
Ein weiterer Gegensatz besteht in der Entwicklung der beiden Kunstarten Film und
Musik. Während die Musik eine jahrhundertelange Entwicklungsgeschichte nachweisen
kann, so liegt die »Geburtsstunde« des Films im Jahre 1895. Dennoch lösen sich die
geschilderten Gegensätze in der Synthese von Film und Musik auf. Der Tonfilm ist eine
synthetische Kunst, zum einen in dem Sinne, daß er Elemente verschiedener Künste wie
der Musik, der Oper und der Malerei verbindet und sie in neue Beziehung miteinander
setzt, zum anderen, daß er in einer Einheit ihre Gegensätzlichkeiten überwindet.
So ist es ein grundlegendes Wesen von Musik, daß sie dem Hörenden keine
absoluten konkreten Inhalte vermittelt, daß sie keine »darstellende Kunst« wie die
visuelle Schicht des Filmes ist. Musik als auditive Erscheinung unterstreicht die
Bewegung in den visuellen Schichten, denn visuelle Erscheinungen laufen meist nicht
ohne akustische Erscheinungen ab. Im Moment der Bewegung treffen sich die
dreidimensionale Sehwelt (ausgestattet mit den Koordinaten Länge, Breite und
Höhe) und die vierdimensionale Hörwelt (Länge, Breite, Höhe und Zeit). Da
Bewegung nur in der Zeit verlaufen kann, erhält die Sehwelt gleichfalls ihre vierte
Dimension.14
14 Schneider 1986, S. 71.
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Bewegungen im Filmbild sind daher ein guter Auslöser für den Einsatz von Musik im
Bild, da diese als akustisches Phänomen ebenfalls der Entfaltung in der Zeit bedarf –
allgemein als Zeitkunst bezeichnet – um in sukzessiver Präsentation ihrer Parameter
ihren Sinn zu reflektieren. Damit wird die Bewegung zum grundlegenden Element der
Zuordnung von Bild und Musik.
2.2. Möglichkeiten der formalen Zuordnung
Schneider sieht in jedem Versuch, die Zuordnung von Bild und Musik kategorisch zu
systematisieren, eine Anstrengung, die zum Scheitern verurteilt ist, da sowohl die
auditive als auch die visuelle Schicht aus mehreren Elementen besteht, die auf
verschiedene Arten zugeordnet werden können. Dieses Problem der verschiedenen
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