wird.
Die staatlich reglementierte Ordnung manifestiert sich hier besonders in der Person des
Oberwachtmeister Barnes. Während der folgenden ersten Behandlung von Alex
nach der Ludovico-Methode ist Kubricks Bezug zur Religion unverkennbar,
genauer gesagt, sie wird blasphemiert. Die Elektroden, die Alex während der
Therapie an den Kopf gesetzt werden, erinnern an die Dornenkrone Christi, ein
Eindruck, der durch die kreuzweise gefesselten Arme in der Zwangsjacke noch
verstärkt wird. Alex durchläuft während des dramaturgischen Verlaufes eine
Passion, aber es ist allen ikonographischen religiösen Zitaten zum Trotz nicht
der Leidensweg Christi, sondern der eines Mörders und Vergewaltigers. Ihm
wird ein Serum injiziert, seine Augenlider werden durch Klammern künstlich
offengehalten, so daß er zum permanenten Hinsehen gezwungen ist. Kubricks Bezug zur
Bedeutung des Auges wird hier wiederum funktionalisiert. Das Auge, das bis
in das heutige Medienzeitalter das wichtigste Organ der Ratio ist, stellt den
soziokulturellen Nährboden für die optischen Medien dar, auch für das Kino. Dieses
bietet dem Betrachter eine Ersatzwelt, die als Abbild der äußeren Welt als real
erscheint.47
47 Vgl. Kracauer, Kap. 1.3.
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Kubrick deutet hiermit auch den Typus des modernen Voyeurs an. Auch Alex macht die
Erfahrung einer Realität auf der Leinwand. In einem Kino werden ihm Filme mit
»ultra-brutalen Vergnügungen« gezeigt – Alex’ bisherige Hauptbeschäftigung:
»Komisch, daß die Farben der wirklichen Welt erst wirklich echt aussehen,
wenn man sie auf dem Screen sieht.« Gewalt wird hier zu einem Kinoerlebnis.
Doch entgegen Alex’ ursprünglichem Naturell wird ihm jene Sehpassivität, die
zum modernen Typen des Voyeurs führte, gewaltsam anerzogen, denn er kann
seine Augen nicht schließen und sitzt hilflos vor der Leinwand. Zu Beginn der
Therapie reagiert Alex auf die Darstellung seiner vorherigen Realität in Form der
Kinorealität durchaus lustvoll und zufrieden. Das Serum bewirkt jedoch langfristig
in ihm einen Brechreiz bei jeder Darstellung von Gewalt und Sexualität, so
daß er bald nur noch mit Übelkeit und absoluter Paralyse reagieren kann. Die
kontrollierbare und zugleich gewaltsame Mechanisierung von Alex’ Reflexen wird
durch Carlos’ Synthesizer-Komposition Timesteps illustriert. Ein synthetischer,
unkontrollierter Sound, der die so groteske Heilung von Alex dokumentiert.
In der Bekämpfung seiner gewaltsamen Impulse wenden die Ärzte selbst eine
Gewalt an, die jedoch staatlich legitimiert ist. Dementsprechend vertreten die
Ärzte die Gesellschaft. Sie bekämpfen in Alex jene unbeherrschbare Natur von
Gewalt und Sexualität, die der aufgeklärten Gesellschaft ein Dorn im Auge ist.
Die Körper- und Naturverbundenheit von Alex wird brutal mechanisiert: er
fühlt sich seelisch am Ende und reagiert körperlich mit Übelkeit: »Nichts ist
grauenhafter als Brutalität! Genau das lernen Sie hier, Ihr Körper lernt es!« bestätigt
Dr. Branom nach der Sitzung. Alex Übelkeit dürfte jedoch nicht nur an dem
verabreichten Serum liegen, sondern vor allem daran, daß er zum passiven Zuschauer
gemacht wird. Gefesselt und mit künstlich offengelassenen Augenlidern wird die
ihm ursprünglich so eigene Sehlust zum Sehzwang, der von außen auferlegt
ist. Während das Auge vorher als Sitz des Bösen Inspirationsquelle für sein
Handeln war, verharrt er nun beim reinen Sehen. Er ist ein Behandelter und
wird zu einem zur Passivität gezwungenen Zuschauer. Kubrick spielt hier seine
Doppelgängermotivik ein weiteres Mal aus: indem Alex im Kinosaal zum gefesselten
Voyeur wird, erfährt er am eigen Leibe, was er eingangs seinem Doppelgänger Mr.
Alexander
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