- 335 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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kreisenden Bewegung sind chaotisch und bedeuten einen Kontrollverlust über den statischen Raum und assoziieren gleichzeitig die Fragwürdigkeit und Instabilität perspektivischer Raumbeherrschung. Dies entspricht dem gesellschaftlichen Verlust an Kontrolle der Cat-Lady über die Kräfte der Natur, die ihr in der Person von Alex gegenübertreten. An ihm haben die gesellschaftlichen Kontrollmechanismen versagt. Die kreisende Bewegung der Kamera und der Dreiertakt der Musik ergeben zusammen wiederum eine Annäherung an das mickey-mousing, denn mit Rossinis dramatischer Steigerung geht Alex’ Mord an der Katzenlady in Spannung und Bewegung einher. Der Kampf der beiden ist jedoch nicht nur ein Kampf unterschiedlicher Kunstauffassungen, sondern entspricht auf übergeordneter Ebene dem gesellschaftlichen Konflikt. Dieser erfährt keine Lösung, sondern funktioniert nur nach dem Schema von Gewalt und Gegengewalt. In diesem Falle ist es sogar die Katzenlady, die Alex zuerst mit der Beethoven-Büste angreift, da sie in ihm den Störenfried ihrer Ordnung sieht.

Mit dem Überfall auf die Katzenlady ändert sich Alex’ Leben schlagartig, denn der von Kubrick aufgebaute Konflikt zwischen Alex und seinen Droogs eskaliert nun. Nachdem Alex die Katzenlady ermordet hat, zeigt er erstmals ein Gefühl wie Erschrockenheit und Entsetzen über seine eigene Tat. Doch dieses Gefühl wird ihm zum Verhängnis, denn er ist seiner Umwelt – den Droogs – in diesem Augenblick ausgeliefert, die ja im Grunde auch dem Rest der Gesellschaft angehören, in der Emotionen nicht existieren. So schlägt Georgie ihn mit einer Milchflasche zu Boden. Alex’ Schrei »Ich bin blind. Ich kann nichts mehr sehen!« hat auch eine symbolische Bedeutung, die sich im folgenden Handlungsverlauf auflösen wird. Ausgerechnet durch das Milch-plus-Getränk, das ihn vorher stets ins Reich der »Ultra-Brutalen« befördert hat, wird er von seinen Kumpanen mattgesetzt. Sein »Sehvermögen« wird symbolisch zerstört, damit auch die Möglichkeit, seinen Gewaltinstinkten nachzugehen, denn seine Augen waren bisher der Sitz seines dionysisch diabolischen Triebes. Da dies vorerst zu seinem Fall führt, kann man es im dramaturgischen Handlungsverlauf auch als tragisches Moment bezeichnen. Alex wird seiner ihm eigenen natürlichen Triebe beraubt, damit auch seiner Individualität.

In den Szenen 15 bis 29 erfolgt der langsame, aber unaufhaltsame Fall des Helden. Der zweite Teil der Handlungstrilogie beginnt. Alex ist nicht länger der Aktionskünstler und Täter, er wird zum Opfer der Aktionen staatlicher Justiz. In der Untersuchungshaft wird er zum ersten Mal mit staatlichen Gewaltinstanzen konfrontiert, die im Grunde genauso verwerflich sind wie Alex’ eigene Taten. Der Unterschied ist jedoch, daß es sich um eine um vieles perversere Gewalt handelt, da sie staatlich institutionell legitimiert ist. Die Worte des Beamten »Wir müssen unserem Freund Alex zeigen, daß wir das Gesetz auch kennen« entsprechen dem Konzept von Gewalt und Gegengewalt. Der »moralische Imperativ« wird zu einem Instrument der Herrschaftsausübung. Letztlich wird er durch die Gesellschaft verzerrt, denn die Beamten demonstrieren Alex ihre Gesetzeskenntnisse, indem sie ihn zusammenschlagen. »Gewalt schafft Gewalt«, der Sergeant bringt die staatliche Doktrin auf den Punkt. Alex’ muß sich dieser Gewalt beugen. Kubrick illustriert dies durch extreme Untersichten, aus der sich Alex in eine Ecke gedrängt seinem Bewährungshelfer gegenübersieht, der ihn anspuckt und ihm triumphierend die


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