- 334 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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ist Rot die Farbe der Leidenschaft, der Gewalt und der Emotionalität.44
44 Bourguignon 1992, S. 100.
Indem Alex durch die Schnittwunde Dims Blut fließen läßt, stellt er die neue Ordnung unter den Droogs in Frage und illustriert den Sieg der Anarchie über das Gesetz der übrigen Droogs.

Während der folgenden Einstellungen setzt sich die Diebische Elster fort, eine Antizipation folgender Gewalttaten der Gang. Nachdem Alex sich wieder mit seinen Droogs verständigt hat, begeht er den Überfall auf die Cat-Lady. Sie ist eine typische Vertreterin des von Kubrick so negierten rationalen Bürgertums, sie zählt sich zu den »anständigen Leuten.« Die Ausstattung ihres Hauses spricht Bände: ihre »Gesundheitsfarm« besteht aus Gemälden und Plastiken, die Kunst zum reinen Dekor entarten lassen. Sie dienen vor allem dem Ziel der gesellschaftlichen Sublimation erotischer Bedürfnisse, der »Verlagerung sexueller Phantasien auf das Objekt.«45

45 Nelson 1982, S. 149.
Als weibliches Pendant steht das Zimmer der Cat-Lady den maskulinen Phantasien der Korova-Milchbar gegenüber, schließt diese jedoch ganz aus ihrer Welt aus, was die an lesbische Beziehungen erinnernden Wandgemälde verraten. Die Beethoven-Büste und die Phallus-Plastik sind die einzigen Objekte mit einer maskulinen Assoziation. Erotik gerät ganz in die tote Dekor-Kunst. Wenn die Cat-Lady demnach die Phallusplastik als »bedeutendes Kunstwerk« bezeichnet, so demonstriert sie damit, daß der plakative Sexismus solcher »Kunstwerke« die verlorengegangene Sinnlichkeit des Alltagslebens ersetzt. Die Katzenlady selbst scheint ihre selbstgeschaffenen Wandgemälde zu imitieren: schwerer Lippenstift, rotgefärbte Harre und ein grünweißes Trikot, die Ähnlichkeit mit den weiblichen Figuren auf ihren Wandgemälden ist offensichtlich. Sie biegt ihren Körper in mechanisch verzerrten Verrenkungen, wodurch sie den von ihr dargestellten statischen Skulpturen gleicht. So ordnet Kubrick auch die Cat-Lady der sterilen, emotionslosen und völlig unerotischen Umwelt von Alex zu, die seiner ungezügelten Libido zusätzliche Dynamik verleiht. Da Kubrick in der Person der Katzenlady dem Protagonisten eine bürgerlich sterile Kunstauffassung gegenüberstellt, muß der anschließende Kampf der beiden auch als symbolischer Kampf zweier divergierender Kunstauffassungen gesehen werden.46
46 Kirchmann 1995, S. 152.
Bezeichnend hierbei ist, daß beide das entscheidende Kunstsymbol des Gegners zur tödlichen Waffe umfunktionalisieren: die Cat-Lady greift zu einer Beethoven-Büste, während Alex sich mit ihrem »bedeutenden Kunstwerk« zur Wehr setzt. In dem Kampf der beiden verbindet Kubrick wiederum unweigerlich die Erotik mit dem Tod, denn letztlich zertrümmert Alex der Katzenlady mit ihrem Phallus-Kunstwerk den Schädel. Rossinis Diebische Elster wird hier zu einem regelrechten »Totentanz«, der Alex’ ästhetisch spielerische Performance mit der Phallusplastik mit dem Tod verbindet – wirkungsanalytisch gesehen eine zynische Kontrapunktierung. Funktional betrachtet paraphrasiert Rossinis Walzertakt jedoch erneut das Geschehen. Kubricks Symmetrie in Form und Handlung wird hier deutlicher denn je, denn der Dreiertakt der Ouvertüre findet seine Entsprechung in Kubricks kreisender unruhiger Handkamerabewegung. Während er die Cat-Lady in ihrem Zimmer vor Alex’ Überfall stets durch eine statische Kamera erfaßt, so wird diese Ordnung nun durch die unruhige Handkamera gestört. Die Bilder der

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