»Spannungsgeladene Stille. Überraschenderweise wird diese Wirkung verstärkt,
wenn die Musik im Augenblick höchster Spannung plötzlich aussetzt und
uns mit den stummen Bildern allein läßt. Das ist ein Kunstgriff, der im
Zirkus verwendet wird, um sensationelle Darbietungen zu voller Geltung zu
bringen. Man sollte erwarten, daß die verlassenen Bilder wirkungslos bleiben;
was aber tatsächlich geschieht, ist, daß sie uns stärker fesseln als die ihnen
vorangehenden, musikalisch untermalten Aufnahmen.«10
10 Kracauer 1996, S. 188.
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Lissa definiert die Stille als eine Art »Bewegungslosigkeit der auditiven Schicht«, die
der Entrealisierung dient. Kinsky-Weinfurter hält diese Definition von Stille für zu
allgemein, denn Filmmusik als ein Element der auditiven Schicht sei schließlich
immer ein irreales Element, es sei denn, sie tritt im Film als aktuelle Musik
auf.11
11 Gottfried Kinsky-Weinfurter: Filmmusik als Instrument staatlicher Propaganda. Der
Kultur- und Industriefilm im Dritten Reich und nach 1945. München 1993,
S. 193.
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Dennoch liefert die Filmgeschichte viele Beispiele für »Entrealisierung« durch
Ausblenden oder starke Reduktion der Musik. Sie ist ein selbständiger Inhaltsträger. Sie
kann beispielsweise der Ausdruck größter Konzentration der Handlung sein und erfüllt
hier ebenfalls das Moment der Spannung und ist nicht nur Stille im Sinne eines
fehlenden Geräusches. In Hinblick auf die restlichen Elemente der auditiven Schicht
erfüllt Stille auch die Rolle der »Interpunktion«, denn sie trennt die einzelnen Phasen
der Tonbearbeitung voneinander.
Zum Zusammenwirken der auditiven und der visuellen Wirkung meint Lissa, daß die
Wirkung der auditiven Sphäre dort beginnt, wo das Wirken der visuellen Sphäre aufhört.
Darüber hinaus hat sich durch die Praxis der Filmgeschichte ergeben, daß sich durch das
Zusammenwirken beider eine neue dramaturgische Qualität ergibt, die keines der beiden
Elemente allein dem Film geben könnte. Die Wirkung der beiden Schichten ist jedoch
abhängig davon, welche Elemente der Schichten miteinander verbunden werden. Lissa
erwähnt hier die Einheit von Bild und Geräuschen, ferner die Einheit von Rede und
Bildern sowie die Einheit von Bildern und Musik. Adorno und Eisler versuchten,
gestützt auf Eisenstein, die Einheit von visueller und auditiver Ebene in den
Analogien der Empfindungsmomente zu finden: Licht, Klangfarbe und Art der
Bewegung.12
12 Adorno/Eisler 1976, S. 67.
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Für Lissa hingegen kommt eine Einheit lediglich zustande, wenn die Strukturen von
visueller und auditiver Ebene einander ähneln. In diesem Falle stimmt sie einer Einheit
zu. Doch beschränkt sich ihrer Meinung nach die Einheit nicht nur auf eine
strukturelle Analogie, besonders nach der Zeit des Stummfilms kamen der Musik
weitaus wichtigere Aufgaben zu. Insgesamt bezeichnet sie die Geschlossenheit von
Auditivem und Visuellem jedoch als »antithetische Einheit«, da hier zwei in
sich gegensätzliche autonome Künste miteinander verbunden werden. Bei der
Verbindung von Bild und autonomer Musik ist diese gegensätzliche Verbindung noch
stärker ausgeprägt. Diese Gegensätzlichkeit, die sich in den meisten Fällen
jedoch in gegenseitige Unterstützung auflöst, begründet Lissa durch folgende
Punkte:
Das Bild ist im Film die fotografische Rekonstruktion von Gestalten und
Gegenständen der Wirklichkeit. Die Musik, die im Kinosaal ertönt, ist nicht ein Bild des
Klanges, sondern der Klang selbst. Doch in Verbindung mit dem Bild ändert sich ihre
»Daseinsform«, indem sie konkrete Inhalte des Filmes unterstreicht, d.h. sie
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