des Auges: es wird zum Ort des Bösen und der Perversion.
Was Kubrick bereits in seinem Filmplakat zusammengefaßt hat, wird hier zum
ersten Mal präsentiert: Auge (Alex’ Blick) – Sexualität (Frauenakte) – Gewalt
(»Ultra-Brutale«). Das Auge hat bei Kubrick nicht länger wie in 2001 eine
göttliche Dimension. Es wird eine vollkommen unheilige Trinität von Auge,
Sexualität und Gewalt errichtet, das Sehen verbindet er entsprechend dem
romantischen Zeichenkomplex ausschließlich mit Gewalt und Tod. Damit erfüllt er
auch zum ersten Mal jene konstante Motivik von Erotik und Tod. Hier wird
ebenso Peripetie der Sympathie offenbar, die sich durch den gesamten Film zieht.
Der impertinent aufdringliche Blick des Helden und sein Gerede über »ein
wenig Ultra-Brutale« steht der subjektiven Identifikation mit ihm durch die
Erzählperspektive gegenüber. Letztere befreit Kubrick auch von jeder Begründung
für die eigentümliche Sprache von Alex. Es ist das von Burgess entwickelte
»Nadsat«, eine Kunstsprache, die sich aus Cockney English, Russisch und Jiddisch
zusammensetzt37
– eine Sprache, die der Atmosphäre wie die Einrichtung der Bar etwas Künstliches
verleiht (die Musik unterstreicht dies). Sie ist ebenso eine Anspielung Kubricks
auf die Idee der Jugendsubkulturen der sechziger und siebziger Jahre ist.
Bourguignon sieht in ihr den Spiegel der Unvernunft von Alex und seinen
Droogs.38
38 Thomas Bourguignon: »Orange mécanique. La très horrifique et très pitoyable histoire
d’Alex l’ultra-violent.« Positif 379 (1992) 98.
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Purcells Musik zur Beerdigung der Königin Mary unterstreicht die frostig-feierliche
Atmosphäre der Korova-Milchbar. Sie begleitet den Prolog in der Bar, wo die Personen
ebenso versteinert sind wie die Statuen der nackten Frauen, die zu Apparaturen
dienstbar gemacht wurden. Der Moog-Synthesizer paraphrasiert Kubricks inszenierte
Kälte einer scheinbar futuristischen Welt ebenso mit extrem harten Lichtkontrasten.
Leblosigkeit, Hoffnungslosigkeit – eben ein Hauch von Tod und Bestattung –
charakterisiert diese Szene, bevor Alex und seine Droogs die Milch trinken und damit ins
»Paradies der Ultra-Gewalt« eintreten.
In der zweiten Szene wird der Zuschauer zum ersten Mal mit Alex’ Gewaltbereitschaft
konfrontiert, die er hier zunächst mit seinem Ekel vor dem Häßlichen und Niedrigen des
Alltags erklärt: »Einen solchen alten, dreckigen, stinkenden Suffkopf zu sehen, ging mir
schon immer gegen den Strich. [. . . ] Diese Typen waren mir schon immer eklig.« Diese
von Alex so empfundene ekelerregend banale Umwelt dokumentiert Kubrick auch mit
seinem Farbenspiel. Er taucht die Szene in ein unnatürlich blau-graues Licht. Dagegen
setzt er die Droogs stets in weißen Anzügen bekleidet dagegen. Diese Farbdialektik hat
er bereits in 2001 verwirklicht. Weiß wird zur Farbe des Gesetzes, der Ordnung und der
Macht.39
39 Bourguignon 1992, S. 100.
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In dieser Welt »ohne Ordnung und Gesetz«, wie der Penner beklagt, verkörpern die
Droogs eine bestimmte Macht, letztlich den Sieg der Anarchie, denn Alex folgt
seinem eigenen »Rechtsempfinden«, als er mit seinem Stock auf den Clochard
einprügelt.
Die nächsten Gewalttaten ergeben sich ebenso eher zufällig als geplant. Wie die
Droogs durch Zufall auf den Clochard stoßen, so geraten sie auch zufällig in die
Schlägerei mit der Billyboy-Bande. Hiermit kommentiert Kubrick ein weiteres Mal, daß
die gängigen Motivationsmuster böser Taten für die Figur Alex vollkommen
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