- 324 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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»Kunstobjekte«, einer halbmannshohen Phallusplastik, zur Wehr setzt. Zum Schluß ermordet er sie kaltblütig mit dem »bedeutenden Kunstwerk«. Als er nach draußen kommt, wird er von seinen Droogs verraten: Georgie schlägt ihn mit einer Milchflasche zu Boden, sie flüchten. Alex wird verhaftet. Auf dem Polizeirevier muß er diverse Brutalitäten über sich ergehen lassen. Er wird als Mörder zu vierzehn Jahren Knast verurteilt und in die Strafvollzugsanstalt eingewiesen.

Es folgen zwei Jahre Gefängnisalltag mit homoerotischen Annäherungen seiner »Knastbrüder«. Alex liest gern in der Bibel und stellt sich vor seinem inneren Auge brutale Szenen auf Golgatha vor. Er kann den Gefängnisgeistlichen davon überzeugen, daß er besserungswillig ist. Obwohl dieser ihm aus ethischen Gründen abrät, stellt Alex sich in Aussicht auf Strafnachlaß einem Konditionierungsprogramm des Innenministers zur Verfügung, nach dem seine kriminellen und sexuellen Impulse in einer »Ludovico-Therapie« gekappt werden sollen. Unter Verabreichung von Psychopharmaka werden ihm Filme über Hinrichtungen und Vergewaltigen vorgeführt bis er soweit therapiert ist, daß er auf jegliche Gewalt mit Übelkeit und allgemeiner Körperschwäche reagiert. Aus Versehen wird er während einer Filmvorführung über das Dritte Reich auch gegen die Neunte Beethovens allergisch gemacht, die als Filmmusik eingespielt wird. Hat die Musik ihm vorher Berauschung an Gewalt verschafft, wird sie nun für Alex zur Tortur. Vor einem illustren Publikum wird er vom Innenminister als »geheilt« vorgeführt. Zum Stiefellecker geworden, wird er nun in die Freiheit entlassen. Doch gelingt es ihm nicht mehr, den Anschluß an die Gesellschaft zu finden: von seinen Eltern auf die Straße gesetzt, trifft er auf sein früheres Opfer, den alten Clochard. Als dieser ihn wiedererkennt, nimmt er mit anderen Bettlerkumpanen Rache. Unfähig zur Gegenwehr, wird er von ihnen übel zugerichtet. Die Polizisten, die ihn befreien, sind seine alten Droogs Georgie und Dim. Auch sie rächen sich und ersäufen ihn fast in einer Tränke. Übel zugerichtet sucht Alex Hilfe bei seinem früheren Opfer, dem Schriftsteller Mr. Alexander, der seitdem an den Rollstuhl gefesselt und dessen Frau an den Folgen des Überfalls gestorben ist. Er erkennt in Alex zunächst nur ein Opfer der regierungsamtlichen Ludovico-Technik und will ihn als politisches Druckmittel mißbrauchen. Als Alex jedoch in der Badewanne lauthals den Song Singin’ in the Rain trällert, erkennt er in Alex voller Entsetzen seinen früheren Peiniger. Beim Essen erzählt dieser den politischen Freunden des Schriftstellers von seiner »Allergie« gegen Beethovens Neunte. Der Schriftsteller rächt sich grausam an ihm, indem er Alex zunächst mit Rotwein-plus einschläfert. Als dieser sich in einer Dachkammer wiederfindet, spielt Mr. Alexander ihm mit sadistischem Vergnügen pausenlos den zweiten Satz der Neunten vor. Verzweifelt springt Alex aus dem Fenster, der Schock »heilt« ihn. Der Innenminister, durch Alex’ Selbstmordversuch öffentlich unter Druck geraten, besucht ihn im Krankenhaus. Alex wird in die Dienste der Regierung treten. Zur Überraschung läßt der Minister das Finale der Neunten spielen. Ein Rudel von Reportern stürmt das Krankenzimmer und fotografiert die brüderlichen Freundschaftsgesten der beiden. Alex’ Vision beendet den Film: er kopuliert gewaltsam mit einer Frau in einem Berg Schnee, während eine viktorianisch anmutende Gesellschaft applaudiert: Alex ist geheilt.

»Jeder ist von der Gewalt fasziniert. Schließlich ist der Mensch der unbarmherzigste Killer, der je auf der Erde jagte.«31

31 Stanley Kubrick nach Paul D. Zimmermann, Newsweek (3. Januar 1972) 29, zit. n. Jansen 1984, S. 134.
Filmkritiker haben sich nach der Premiere des Films vor allem eine Frage gestellt: Warum diese Orgien an Gewalttätigkeiten? Dies unterscheidet Kubricks Film von anderen. Oft sind Darstellungen von Greueltaten eingebunden in soziologische oder psychologische Funktionsbegründungen. Der Täter wird meist als ein Opfer psychologischer Zustände oder sozialer Mißstände

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