die Anfang
der sechziger Jahre einsetzte, waren beispielsweise in Schweden Ingmar Bergman, in
Italien Federico Fellini oder Bernardo Bertolucci, in Großbritannien Roman Polanski
und nicht zuletzt auch Stanley Kubrick. Mit dem Beginn der siebziger Jahre läßt
sich parallel zu der Entwicklung zahlreicher gesellschaftlicher Subkulturen auch ein
Entwicklungsschub in beiden klassischen Themenbereichen des Spielfilms feststellen - Sex
und Gewalt. Viele Produktionsfirmen in Europa und Amerika widmeten sich ganz
neuen, stark angstbesetzten Themen wie Aggressionen, Katastrophen, Hexen oder
Teufel.28
Die Thematisierung von Gewalt im Film der siebziger Jahre ist in den ersten Jahren noch stark
geprägt von Motiven der Rock- und Jugendkultur. Diese spiegelt sich auch im Film Uhrwerk
Orange wider. Die politische Irritation zu Anfang der siebziger Jahre, speziell in den Vereinigten
Staaten, gegenüber der zunehmenden »Gewalt auf der Straße« als ein Spiegel der Rockkultur
wird auch im Film Uhrwerk Orange zynisch karikiert, aber darüber hinaus als bloße Funktion
einer anderen Gewalt entlarvt, die in den gesellschaftlichen Strukturen begründet ist.
Die Gewalt erzeugt nach einem simplen Schema Gegengewalt, der Protagonist wird
zu einem zum Helden stilisierten Einzelgänger im Kampf gegen das gesellschaftlich
Böse.29
29 Werner Faulstich/Helmut Korte: »Der Film zwischen 1961 und 1976: ein Überblick.« In:
Faulstich/Korte 1995, S. 32.
|
Die Filme der Zeit zelebrieren diese Thematik teils kritisch, teils jedoch wie ein Ritual, in dem
die Gewalt fern von jeder Kritik verherrlicht wird.
Auch in zahlreichen anderen Werken der Literatur spiegelte sich der allgemeine Zweifel
an bestehenden Gesellschaftsordnungen wider. Doch sowohl Film, Literatur
als auch die Formen der Kunst wie die neue Pop-Art verweisen auf denselben
Hintergrund: auf die tiefe Unsicherheit, was die Legitimität der strafenden
Gewalten betrifft, eine Unsicherheit gegenüber der Verläßlichkeit der staatlichen
Instanzen und insgesamt gegenüber dem tradierten Normensystem und den
Formen seiner Verinnerlichung. Demgegenüber stand die verbreitete Hoffnung
auf die Etablierung rigoroser Kleinbürgermoral, die Kubrick kontinuierlich
thematisiert.30
30 Kuchenbuch 1995, S. 217.
|
In Uhrwerk Orange läßt sich Kubrick über Themen aus, die seiner gesellschaftsorientierten
Dialektik entstammen. Sie spiegeln sich auch in der Gesellschaft der Entstehungszeit des
Films wider – das Verhältnis von Bürgerlichkeit und Pop-Subkulturen. Damit
demonstriert Kubrick wiederum die Verbindung zwischen Vergangenheit und Zukunft,
indem er seinem Film neben dem Gegenwartsbezug auch eine futuristische Seite
abgewinnt. Sexualität, Drogen, Psychoanalyse, Faschismus, Brutalität und Religion sind
seine Themen, wobei die Gewalt das beherrschende Thema ist, die mit Sexualität
verquickt ist. Als solcher ist Uhrwerk Orange soziologisch definiert und kann trotz
seiner Anlage als Autorenfilm einer Variante des Genre des Sex and Crime
zugeordnet werden. Dieses Genre gilt eigentlich seit den Anfängen des Kinos als
unverzichtbarer Bestandteil des Mediums Film. Doch angesichts der Welle von
Horror- und Pornofilmen, die in den letzten Jahren den Filmmarkt geradezu
überschwemmt haben, muß man unterscheiden. Der entscheidende Anspruch
liegt in der ästhetischen Wertung. Während die Darstellung von Sexualität
und Gewalt in den Bereich jener Horror- und Pornofilme, den sogenannten
B-Pictures, abgeschoben wird, gilt sie im künstlerisch ambitionierten Film in den
siebziger Jahren wie heute noch immer als ein Tabu. Indem Kubrick jedoch auf
jegliche Darstellung von Sexualität nahezu verzichtet, entzieht er sich somit
dieser Kritik. Insofern kann sein Film als eine Variante dieses Genre gelten.
|