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Motiv des Doppelgängers

Ausgehend vom Menschenbild Kubricks spielt auch das Motiv des Doppelgängers eine Rolle. Kubrick zerstört die Definition vom einzigartigen Subjekt. Diese Aufspaltung des Ichs findet ihre Entsprechung in Kubricks Verteilung von Persönlichkeitsmerkmalen auf verschiedene Figuren, die alle Facetten eines Ichs verkörpern. Der Konflikt zwischen diesen sich widersprechenden Facetten einer Figur ist übergeordnet wiederum der Gegensatz zwischen apollonischen und dionysischen bzw. dämonischen Anteilen der Gesellschaft. Allerdings verharrt Kubrick nicht bei der bloßen Trennung, vielmehr durchdringen sich beide Facetten gegenseitig. Der Feind des Protagonisten ist ebenso eine Verdopplung seines eigenen Ichs. Die saubere Trennung zwischen »Original« und »Double« ist bei Kubrick kaum noch möglich – wiederum eine klare Symmetrie in seiner Figurenkonstellation.

Uhrwerk Orange demonstriert Kubricks Orientierung am europäischen Ästhetizismus wie auch dementsprechend seine gesamte Thematik und Motivik. Auch in der Zeit vor der Entstehung des Films war er auf der Suche nach neuen Stoffen in der ständigen Sorge, keine Vorlage mehr zu finden, die den selbstgesetzten Ansprüchen genügen könnte. Er ist durchdrungen von dem Gedanken, daß eine »große Erzählung eine Art von Wunder ist«, wobei er kritisch genug ist, »Blei nicht in Gold verwandeln« zu wollen.25

25 Jansen 1984, S. 137.
Seit langem schon plante Kubrick, einen Napoleon-Film zu drehen. Doch mit der ökonomischen Krise Hollywoods zerschlug sich diese aufwendige Verfilmung im Sommer 1969. Zur selben Zeit liest Kubrick den Roman A Clockwork Orange von Anthony Burgess aus dem Jahre 1962. Er reagiert sofort und schreibt das Drehbuch selbst. Obwohl er bisher vorzugsweise mit den Autoren der Romanvorlagen zusammengearbeitet hat, beispielsweise für Lolita (Vladimir Nabokov) oder 2001 (Arthur Clark), beschränkt sich sein Kontakt mit Burgess auf ein Telefongespräch.

Burgess26

26 Anthony Burgess: A Clockwork Orange. London 1962.
knüpft in seinem Roman an die Tradition der Gewalt- und Drogenliteratur der fünfziger und frühen sechziger Jahre an und greift zugleich die Thematik der verwahrlosten Jugend sowie des problematischen Helden auf. Filmische Pendants dazu waren beispielsweise Vorbilder wie James Dean in ...Denn sie wissen nicht, was sie tun (USA 1955) oder die Verfilmung der West Side Story (USA 1960). Burgess’ Roman ist eine kulturpessimistische Satire auf die »Unverbesserlichkeit der menschlichen Wolfsnatur.«27
27 Thomas Kuchenbuch: »Aggression und Verbrechen: Uhrwerk Orange (A Clockwork Orange, 1971).« In: Faulstich/Korte 1995, S. 215.
In diese Traditionsgeschichte fällt auch die Entstehung des Filmes Uhrwerk Orange. Wie bereits in Zusammenhang mit der These erwähnt, war die Filmentwicklung der sechziger Jahre besonders durch das anhaltende »Kinosterben« in allen Industrieländern geprägt als Folge der versäumten Reaktion der Filmindustrie auf die Herausforderung durch das neue Medium Fernsehen. Besondere Auswirkungen hatte dies auf die Filmmetropole Hollywood. Massenentlassungen und Produktionseinschränkungen waren die Folge. Ästhetische Innovationen waren im Hollywood-Massenkino, das auf handwerklich-glatten Breitenerfolg ausgerichtet war, selten möglich. Die Folge: Innovationen entwickelten sich mehr denn je außerhalb Hollywoods im europäischen, japanischen und lateinamerikanischen Film, die in der Regel auf spezifische Publikumsgruppen zugeschnitten waren. Generell war diese Entwicklung eng verbunden mit einer Verlagerung von der unpersönlichen Fließbandproduktion zu einer ästhetischen Individualisierung der filmischen Aussage. Regisseure dieser Bewegung,

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