- 31 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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Die auditive Ebene erfaßt ebenso Geräuscheffekte, die im Prinzip alle Geräusche der Wirklichkeit realitätsgetreu oder stilisiert umfassen. Geräusche erhalten als dramaturgisches Mittel im Film durch ihre Wirklichkeitsnähe eine besondere Bedeutung, da sie sich von jener »Sinfonie der Geräusche und des Lärms« ableiten, die Wirklichkeit schafft, in der Bewegung herrscht. Die Bewegung visueller Objekte ist oft mit Geräuschen verbunden. Geräusche informieren, sind Zeichen von etwas. Wie die Musik haben auch Geräusche ihre informativen Funktionen. Zum einen erzeugen sie im Film das akustische Korrelat zur visuellen Ebene, sie informieren über Bewegung in der visuellen Ebene, zum anderen können sie sich in gewissem Grade auch verselbständigen und eine spezielle »Lärmsinfonie« bilden.

Die auditive Schicht umfaßt darüber hinaus auch die menschliche Rede. Im Hinblick auf die semantische Schicht im Film bildet die menschliche Rede den Typ der Sphäre der Bedeutung der Worte und ist damit vom Geräusch zu trennen. Sie ist das akustische Zeichen gewisser Vorstellungs- und Begriffsinhalte. Damit ist sie wie Musik und Geräusche zweischichtig. Doch im Gegensatz zur eher unspezifischen Funktion der Geräusche (der geräuschhafte Gegenstand wird erst präzise, wenn er auf der Leinwand erscheint), bestimmen wörtliche Zeichen ihre Bedeutung präzise. In Wortgruppen sind sie die Zeichen von Gedanken, Urteilen und Schlußfolgerungen, aber auch Emotionen der Filmgestalten. Lissa sieht in der menschlichen Rede ein dem Film fremdes Element. Die als Dialog oder Monolog angewandte Rede ist für sie weniger ein Konstruktionselement der auditiven Schicht denn ein akustisches Zeichen psychischer Inhalte, als solches eher der visuellen Schicht zuzuschreiben. Psychische Inhalte sind zwar nicht direkt durch das Bild gegeben, doch kann der Zuschauer den im Bild handelnden Personen diese Inhalte zuordnen. Die Funktion der menschlichen Rede ist jedoch zu einseitig definiert, da der Dialog zwischen den Filmgestalten, aber auch der Monolog, ähnlich dem Theaterstück, auch der rein formal konstruktiven Syntax, dem Aufbau des Filmes dient. Darüber hinaus beeinflußt das Wort den zeitlichen Ablauf im Film, das Tempo der visuellen Sphäre. Bekanntlich gibt der Film viele zeitliche Abläufe kondensiert wieder. Der Regisseur kann zeitliche Abläufe einer Geschichte raffen oder dehnen. Die menschliche Rede hingegen unterliegt dieser Beschleunigung keineswegs. Zwar kann sie quantitativ auf ein Minimum beschränkt werden, doch erfordert ihre Erscheinung, wenn sie auftritt, ein normales Ablauftempo. Dies bedeutet den Wandel des Filmtempos auf das »Lebenstempo«, die Bewegung der visuellen Schicht verlangsamt sich meist dadurch und zwingt ihr ein gewisses Maß an Statik auf – ein Wesensmerkmal, das dem Film als kontinuierliche Aneinanderreihung visueller Eindrücke fremd ist. Im Gegensatz zur Musik im Film, die durch ihre verschiedenen noch darzustellenden Funktionen eine entrealisierende Wirkung herbeiführen kann, da sie diese in ihrer autonomen Form nicht hat, muß die menschliche Rede in ihrer natürlichen Form bestehen bleiben. Sie ist daher das »naturalistischste« Element des Films.9

9 Lissa 1965, S. 62–64.

Der vierte Bereich der auditiven Schicht umfaßt ihr Fehlen, die Stille. Im Zusammenhang des Themas Filmmusik auf die Stille hinzuweisen, erscheint im ersten Moment paradox, umso mehr, wenn der unbegleiteten Stille ein ästhetischer Wert zugesprochen wird. Kracauer schreibt hierzu:


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