- 319 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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stehen in Kubricks Filmen stets der ritualisierten Form von Gewalt die unkontrollierte Gewaltausübung des Individuums gegenüber. Dazu zählen beispielsweise die Verbrechen von Alex in Uhrwerk Orange. Gerade das, was durch bewußte Steuerung von außen vermieden werden soll, bricht immer wieder auf: »In these movies, Kubrick seems to be arguing that the ordering of violence [. . . ] does not approuch the real problem of the unconscious causes of violence.«20
20 Ken Moskowitz: »Clockwork Violence.« Sight and Sound 46 (1976/77) 23.
Analog zu dieser Gewaltbeherrschung durch obere Instanzen bereitet auch die formalisierte Ordnung und Ritualisierung der Sexualität durch den Verhaltenskodex der bürgerlichen Ehe die Basis für eine ungehemmte und gewaltsame Auslebung der Triebe.

Doch Kubricks Hang zu Gewaltdarstellungen verweist nicht nur auf die ihnen zugrundeliegende Dialektik, sondern auch auf Kubricks ästhetische Faszination des Krieges und der Gewalt. Beide erscheinen in seinen Filmen stets als choreographiertes, visuelles Spektakel. Daher erheben Kritiker gerne den Vorwurf, Kubrick verherrliche die Gewalt. Dies geht jedoch vollständig an der Dialektik seiner Filme vorbei, denn er problematisiert im Grunde die latent vorhandene Gewalt in einer bürgerlichen Gesellschaft und ihrer ästhetischen Vorstellung. Es ist eine Ästhetik der typisch klassischen strengen Form, die als schön aufzufassen ist, da in der Form nochmals die Überlegenheit über das chaotische Formprinzip des Natürlichen demonstriert werden soll. Seine »Bildästhetik« ist darin begründet, die Doppelbödigkeit einer bürgerlichen Ästhetik letztlich zu entlarven, »indem er die Gültigkeit ihrer Formgesetzte selbst am amoralischen Zustand demonstriert.«21

21 Kirchmann 1995, S. 66.

Erotik- und Todesmotiv

Sie sind Elemente der romantischen Motivik als Folge der aufklärerischen Verdrängung. Obwohl beide Konstanten bereits in der griechischen Mythologie als zusammengehörig definiert werden, erfahren sie erst nach der Aufklärung jenen Wertewandel und werden fortan mit etwas Dämonischem und Teuflischem assoziiert. Nach der aufklärerischen Philosophie als Tabubereiche getrennt, verschmelzen sie im 19. Jahrhundert. In der spätromantischen Literatur findet diese Fusion ihren Niederschlag, die beharrlich die nicht mehr unterscheidbare Assoziation des Todes mit der Sexualität thematisiert. In Kubricks Filmen taucht Erotik nicht da auf, wo bürgerliche Moral herrscht. Im Gegenteil: eheliche Beziehungen der Protagonisten scheinen gerade durch das Fehlen jeglicher Erotik zum Scheitern verurteilt zu sein. Dabei ist Kubrick an der Darstellung menschlicher Erotik keineswegs interessiert. Sie wird vielmehr auf die Objektebene verlagert, auf der leblose Gegenstände zu erotischen Symbolen werden. Gleichzeitig wird verpönte Erotik in gesellschaftlich legitimierte Bahnen in destruktive Energie wie Gewalt und Tod gelenkt. So sind Erotik und Tod bei Kubrick unangefochten miteinander verschränkt. Isoliert tauchen sie nicht mehr auf.22

22 Kirchmann 1995, S. 69–70.
Auf diese Weise wird Sexualität bei Kubrick ausnahmslos von der Frau auf den Tod verlagert. Sie findet nur noch als Krieg Eingang in den Film, andererseits findet der Krieg nur noch als Geschlechtsakt Verwendung in seinen Filmen. In dem Maße, wie Erotik nur noch in Synthese mit dem Tod existiert, wird der Krieg auf umgekehrtem Wege als sexuelle Allegorie inszeniert.

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