moralische Imperative in der aufgeklärten Gesellschaft zum Instrument von
Herrschaftsausübung.16
16 Kirchmann 1995, S. 38–39.
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Dadurch entscheidet ausschließlich die Gesellschaft, was böse ist. Dazu zählt vor allem
die Dämonisierung der inneren Natur. Der »Böse« wird von Anfang an als ein
Störenfried der gesellschaftlichen Ordnungsprinzipien definiert. Die Folge: die psychische
Angst des Individuums vor moralischem Selbst- und Fremdzwang, die sich als
Gewissensangst manifestiert.
Hier liegt der Ansatz von Kubricks Hang zu Gewaltdarstellungen. Sie sind nicht
zentrales Thema seiner Filme, sondern eine Folge seiner Darstellung jenes dialektischen
Prinzips zwischen Aufklärung und Romantik, denn die Ausübenden der Gewalt sind in
seinen Filmen stets Figuren, die sich dem dionysischen, »teuflischen« individuellen
Lebensprinzip verschrieben haben. Sie bringen Chaos und Anarchie in die Gesellschaft.
In ihnen scheint ein unreglementiertes Potential der Natur durch. Damit kehrt sich
letztlich die Aufklärung gegen sich selbst als immanente Konsequenz. Indem sie die
innere und äußere Natur als Sitz des Bösen deklariert, zerstört sie die Seinsgrundlage des
Individuums und damit auch der Gesellschaft. Die Freiheit von Zwängen der
Natur ist nur möglich in der Unterwerfung. Hierin liegt auch Kubricks Hang
zum spätromantischen Ästhetizismus begründet: während die Frühromantiker
der Aufklärung die Natur als etwas Überhöhtes entgegenstellten, kann sie in
der Spätromantik nur noch als etwas Satanisches hingestellt werden – und
dies nicht trotz, sondern wegen des aufklärerischen Entfremdungsprozesses,
der ideengeschichtlich vorausgegangen ist. Aus dieser Dialektik heraus ergibt
sich das konstante Thema in Kubricks Filmen, welches seine gesamte Motivik
bestimmt: die Entfremdung von der Natur als Ausgangspunkt neuzeitlicher
abendländischer Kultur und die unheilvollen Konsequenzen, die sich daraus für die
Kultur ergeben haben. Einige seiner sich daraus ergebenden Motive seien hier
aufgeführt:
Antagonismus zwischen Ordnung, Symmetrie und Chaos
Dieser illustriert sich besonders in der Bildsprache. Wie eingangs erwähnt,
verschmilzt Kubrick alle vorhandenen Techniken zu einem neuen Ganzen.
Angesichts seines Perfektionsdranges bestätigt er stets das Bild des »guten
Schülers«,17
17 Jean-Luc Godard über Kubricks Film The Killing: »Un bon devoir (Eine gute
Schularbeit)«. Cahiers du Cinèma 80 (1958) o.S., zit. n. Jansen 1984, S. 7.
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des »Bastlers«, der sich beständig um die Verbesserung seines Werkes bemüht. Daher ist
Kubricks Ikonographie immer das Ergebnis einer durchgestalteten Bedeutungsebene, auf
der Handlungsführung, Bildaufbau und Schnitt einer strengen Symmetrie folgen, so
beispielsweise die Positionierung der Figuren oder filmischer Objekte in der Landschaft,
aber auch die Ausleuchtung des Bildes. Neben der Symmetrie ist die Geometrie eine
weitere Dominante in Kubricks Ikonographie. So ist besonders der Kreis eine
räumliche Konstante in seinen Filmen, aber auch kreisende Kamerabewegungen.
Dem entspricht auf der Tonebene besonders der Walzerrhythmus, der auf dem
kreisförmigen Tanzschritt basiert. Drei- und viereckige Formen dominieren in
Uhrwerk Orange (z.B. das Filmplakat) und in Shining. Die geometrische Anlage
findet ihre Entsprechung in der dramaturgischen Geometrie und Symmetrie der
Erzählung. Insofern bleiben Symmetrie und Geometrie bei Kubrick stets an die
Handlungskonzeption gebunden. Das Resultat sind eben jene Bilder, die durch
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