- 317 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (316)Nächste Seite (318) Letzte Seite (600)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

moralische Imperative in der aufgeklärten Gesellschaft zum Instrument von Herrschaftsausübung.16
16 Kirchmann 1995, S. 38–39.
Dadurch entscheidet ausschließlich die Gesellschaft, was böse ist. Dazu zählt vor allem die Dämonisierung der inneren Natur. Der »Böse« wird von Anfang an als ein Störenfried der gesellschaftlichen Ordnungsprinzipien definiert. Die Folge: die psychische Angst des Individuums vor moralischem Selbst- und Fremdzwang, die sich als Gewissensangst manifestiert.

Hier liegt der Ansatz von Kubricks Hang zu Gewaltdarstellungen. Sie sind nicht zentrales Thema seiner Filme, sondern eine Folge seiner Darstellung jenes dialektischen Prinzips zwischen Aufklärung und Romantik, denn die Ausübenden der Gewalt sind in seinen Filmen stets Figuren, die sich dem dionysischen, »teuflischen« individuellen Lebensprinzip verschrieben haben. Sie bringen Chaos und Anarchie in die Gesellschaft. In ihnen scheint ein unreglementiertes Potential der Natur durch. Damit kehrt sich letztlich die Aufklärung gegen sich selbst als immanente Konsequenz. Indem sie die innere und äußere Natur als Sitz des Bösen deklariert, zerstört sie die Seinsgrundlage des Individuums und damit auch der Gesellschaft. Die Freiheit von Zwängen der Natur ist nur möglich in der Unterwerfung. Hierin liegt auch Kubricks Hang zum spätromantischen Ästhetizismus begründet: während die Frühromantiker der Aufklärung die Natur als etwas Überhöhtes entgegenstellten, kann sie in der Spätromantik nur noch als etwas Satanisches hingestellt werden – und dies nicht trotz, sondern wegen des aufklärerischen Entfremdungsprozesses, der ideengeschichtlich vorausgegangen ist. Aus dieser Dialektik heraus ergibt sich das konstante Thema in Kubricks Filmen, welches seine gesamte Motivik bestimmt: die Entfremdung von der Natur als Ausgangspunkt neuzeitlicher abendländischer Kultur und die unheilvollen Konsequenzen, die sich daraus für die Kultur ergeben haben. Einige seiner sich daraus ergebenden Motive seien hier aufgeführt:

Antagonismus zwischen Ordnung, Symmetrie und Chaos

Dieser illustriert sich besonders in der Bildsprache. Wie eingangs erwähnt, verschmilzt Kubrick alle vorhandenen Techniken zu einem neuen Ganzen. Angesichts seines Perfektionsdranges bestätigt er stets das Bild des »guten Schülers«,17

17 Jean-Luc Godard über Kubricks Film The Killing: »Un bon devoir (Eine gute Schularbeit)«. Cahiers du Cinèma 80 (1958) o.S., zit. n. Jansen 1984, S. 7.
des »Bastlers«, der sich beständig um die Verbesserung seines Werkes bemüht. Daher ist Kubricks Ikonographie immer das Ergebnis einer durchgestalteten Bedeutungsebene, auf der Handlungsführung, Bildaufbau und Schnitt einer strengen Symmetrie folgen, so beispielsweise die Positionierung der Figuren oder filmischer Objekte in der Landschaft, aber auch die Ausleuchtung des Bildes. Neben der Symmetrie ist die Geometrie eine weitere Dominante in Kubricks Ikonographie. So ist besonders der Kreis eine räumliche Konstante in seinen Filmen, aber auch kreisende Kamerabewegungen. Dem entspricht auf der Tonebene besonders der Walzerrhythmus, der auf dem kreisförmigen Tanzschritt basiert. Drei- und viereckige Formen dominieren in Uhrwerk Orange (z.B. das Filmplakat) und in Shining. Die geometrische Anlage findet ihre Entsprechung in der dramaturgischen Geometrie und Symmetrie der Erzählung. Insofern bleiben Symmetrie und Geometrie bei Kubrick stets an die Handlungskonzeption gebunden. Das Resultat sind eben jene Bilder, die durch

Erste Seite (i) Vorherige Seite (316)Nächste Seite (318) Letzte Seite (600)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 317 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik