- 313 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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Killer’s Kiss (Der Tiger von New York) (1955) bis hin zu The Shining (Shining) aus dem Jahre 1979/80, hat er sich fast aller Genres auf seine Art bedient. Jeder seiner großen Filme stellt für ihn persönlich eine Art »Schlußstein« dar. Jeder weitere Film brauchte immer mehr und intensivere Vorbereitung, um den vorhergehenden zu übertreffen. Jansen bezeichnet Kubricks Art der Regie daher auch als den »Barock des Kinos«3
3 Peter W. Jansen: »Kommentierte Filmographie.« In: Peter. W. Jansen/Wolfram Schütte (Hrsg.): Stanley Kubrick. Reihe Film 18. München 1984, S. 8.
: eine Endphase mit rhetorischem Pathos, Dominanz der Formkunst und Amalgamieren all dessen, was schon vorhanden ist. Er gehört zu der Riege der Autorenfilmer, die ihre Filme vollständig kontrollieren. So beherrscht Kubrick all das, dessen es im Kino bedarf: Drehbuch und Produktion, Kamera und Schnitt, Setdesign und Schauspielerführung, Licht- und Farbdramaturgie sowie Trick und Musik. Da er außer Spartacus (1960) alle seine Filme bis ins kleinste Detail kontrollierte, funktionieren sie wie Präzisionsinstrumente. Spätestens seit Lolita (1962) beherrschen Kontrolle, Disziplin und Perfektionismus sein Filmwerk. Diese stringente Perfektion macht seine Filme jedoch auch zu Filmen ohne jedes Geheimnis. Jansen bezeichnet ihn daher als »abgrundlosen Technokraten«4
4 Jansen 1984, S. 10.
, denn seine Filme stellen ein hermetisches System von Bedeutungseinheiten dar, in dem alles mit allem in Beziehung steht. Jedes Detail hat einen genau kalkulierten Stellenwert für den gesamten Film. Nichts ist unbeabsichtigt. Kubrick liebt das Spiel mit versteckten Hinweisen philosophischer, film-, kunst- und kulturgeschichtlicher Natur, die – sofern man sie enträtselt – schlüssige Hinweise zum Verständnis des gesamten Films liefern. Seine »Allmacht« ist deutlich im Produktionsprozeß erkennbar. Aus diesem Grunde ist Kubrick oft der Vorwurf gemacht worden, sich hinter einem nichtssagenden Technizismus und einer glatten Oberfläche gefälliger Ästhetik zu verstecken. Kirchmann5
5 Kay Kirchmann: Stanley Kubrick. Das Schweigen der Bilder. Marburg 1995, S. 13.
zufolge sei dieser Vorwurf bei näherer Betrachtung ebensowenig haltbar wie die gern geübte Kritik, Kubrick habe lediglich die ästhetische Sterilität amerikanischer Hollywood-Massenproduktionen übernommen und in den europäischen Film eingebracht. Kubricks Filmsprache ist eindeutig am europäischen Kino orientiert. Sein künstlerisches Selbstverständnis, so Kirchmann, stehe zweifelsohne in der Tradition der europäischen Kulturgeschichte. Der Einfluß der europäischen Literatur und Philosophie auf seine ästhetischen wie weltanschaulichen Positionen ist unverkennbar. Filme wie beispielsweise Paths of Glory (Wege zum Ruhm, 1957), Spartacus oder Barry Lyndon (1975) belegen Kubricks Interesse an europäischer Geschichte. Seine Auffassung der Autonomie des Filmautors entspricht der Tradition des europäischen Autorenfilms und unterscheidet sich deutlich von dem amerikanischen Studiosystem.

Obwohl Kubrick versucht, sich nicht zu wiederholen, weisen seine Filme einen gewissen zyklischen Charakter auf. In der Eingangssequenz von Lolita begrüßt Quilty Humbert mit den Worten: »Hi, ich bin Spartacus« – ein Verweis auf Kubricks vorangegangenen gleichnamigen Film. Die letzte Einstellung in 2001 – A Space Odyssey (2001 – Odyssee im Weltraum, 1968) – das große Auge des Embryos – findet ihre Fortsetzung in der ersten Einstellung des nächsten Films – Uhrwerk Orange – dem geschminkten Auge von Alex.6

6 Kirchmann 1995, S. 19.
Zwar mag es verwundern, daß ein Regisseur in einem Film, den er gerade dreht,

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