Wie in Viscontis Tod in Venedig besteht auch die Musik in Kubricks Uhrwerk
Orange aus unterschiedlichen Zitaten. Henry Purcells Music on the Death of
Queen Mary ist die Titelmusik des Films. Sie bildet den Hintergrund in den
Szenen in der Korova-Milchbar. Rossinis Ouvertüren zu Wihelm Tell und die
Diebische Elster charakterisieren Alex’ Leben vor seiner Verhaftung. Elgars
Märsche aus Pomp and Circumstance sind eine Persiflage auf das britische
Justizsystem, in dessen Mühlen Alex’ nach seiner Verhaftung gerät. Beethovens
neunte Sinfonie ist das zentrale Zitat des gesamten Films, da es nicht nur den
Protagonisten Alexander DeLarge hinreichend kennzeichnet, sondern ebenso als ein
Kommentar des Regisseurs gesehen werden muß. In seiner bitterbösen Filmfarce
über die Vergewaltigung und Mechanisierung des Individuums in einer bis zur
Leblosigkeit bürokratisierten und technisierten Zivilisation analysiert Kubrick den
hysterischen Hedonismus der Konsumkultur und die perverse Ästhetik der Gewalt mit
grimmiger Konsequenz. Beethovens neunte Sinfonie bildet infolgedessen auch den
Schwerpunkt in der Analyse. Diese bemüht sich um Ausgeglichenheit in bezug auf die
Dramaturgie. So werden im folgenden Stücke von Rossini und Beethoven analysiert, die
sowohl Alex’ Leben vor als auch nach seiner Verhaftung illustrieren. Die Zitate
erhalten im Laufe der Dramaturgie offenbar einen neuen Sinnzusammenhang.
Kubrick illustriert dies besonders durch Carlos’ orchestrale und elektronische
Bearbeitung der Stücke. Folgende Szenen werden somit im Sequenzprotokoll
erfaßt: Rossinis Diebische Elster in Szene 3 und 4 (Schlägerei am Spielkasino &
Autofahrt)1 ,
da diese nicht nur schnittechnisch gesehen interessant erscheint, sondern ebenso eine
erste Charakterisierung des Protagonisten garantiert. Vergleichbar damit ist auch Szene
12, in der Alex am künstlichen See seines Wohnblocks die »alte Ordnung« unter
seinen Droogs wiederherstellt. Hieran schließt sogleich der Überfall auf die
Katzenlady, den Kubrick ebenfalls mit Rossini kommentiert. Da alle Szenen
dramaturgisch gesehen denselben Inhalt tragen, soll lediglich die Schlägerei am
Spielkasino exemplarisch analysiert werden. In Szene 6 wird der Zuschauer durch das
Solo der Sopranistin zum ersten Mal mit Alex’ Beethoven-Wahn konfrontiert.
Dieser Eindruck vertieft sich in Szene 7, in der Alex den Abend mit Beethovens
neunter Sinfonie (II. Satz) sehr illustrativ ausklingen läßt. Während der zweiten
Filmvorführung (Szene 24) erlebt Alex einen traumatischen Mißbrauch seines geliebten
Komponisten, der sich in der letzten Szene 34 im Finale der neunten Sinfonie zu einer
Vision wandelt, die seine »Heilung« signalisiert. Die jeweiligen Pendants dieser
Zitate in anderen Lebensphasen von Alex werden während der Dramaturgie
berücksichtigt.
11.2.1. Entstehungsgeschichte und Genre
»Hinter meiner Themenwahl steht keine bewußte Absicht. Der mehr oder minder einzige
Faktor besteht darin, daß ich versuche, mich nicht zu wiederholen. Da man
verfilmbare Stoffe nicht systematisch suchen kann, lese ich alles, was mir in die Hände
fällt.«2
2 Stanley Kubrick 1972 in einem Interview mit Michel Ciment, zit. n. Michel Ciment:
Kubrick. München 1980, S. 157.
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Im Gegensatz zu Visconti läßt sich Kubrick (1927–1999) keinem omnipräsenten
Filmgenre zuordnen. In all seinen Filmen, angefangen mit The
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