- 312 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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Wie in Viscontis Tod in Venedig besteht auch die Musik in Kubricks Uhrwerk Orange aus unterschiedlichen Zitaten. Henry Purcells Music on the Death of Queen Mary ist die Titelmusik des Films. Sie bildet den Hintergrund in den Szenen in der Korova-Milchbar. Rossinis Ouvertüren zu Wihelm Tell und die Diebische Elster charakterisieren Alex’ Leben vor seiner Verhaftung. Elgars Märsche aus Pomp and Circumstance sind eine Persiflage auf das britische Justizsystem, in dessen Mühlen Alex’ nach seiner Verhaftung gerät. Beethovens neunte Sinfonie ist das zentrale Zitat des gesamten Films, da es nicht nur den Protagonisten Alexander DeLarge hinreichend kennzeichnet, sondern ebenso als ein Kommentar des Regisseurs gesehen werden muß. In seiner bitterbösen Filmfarce über die Vergewaltigung und Mechanisierung des Individuums in einer bis zur Leblosigkeit bürokratisierten und technisierten Zivilisation analysiert Kubrick den hysterischen Hedonismus der Konsumkultur und die perverse Ästhetik der Gewalt mit grimmiger Konsequenz. Beethovens neunte Sinfonie bildet infolgedessen auch den Schwerpunkt in der Analyse. Diese bemüht sich um Ausgeglichenheit in bezug auf die Dramaturgie. So werden im folgenden Stücke von Rossini und Beethoven analysiert, die sowohl Alex’ Leben vor als auch nach seiner Verhaftung illustrieren. Die Zitate erhalten im Laufe der Dramaturgie offenbar einen neuen Sinnzusammenhang. Kubrick illustriert dies besonders durch Carlos’ orchestrale und elektronische Bearbeitung der Stücke. Folgende Szenen werden somit im Sequenzprotokoll erfaßt: Rossinis Diebische Elster in Szene 3 und 4 (Schlägerei am Spielkasino & Autofahrt)1

1 Vgl. Anhang C.4
, da diese nicht nur schnittechnisch gesehen interessant erscheint, sondern ebenso eine erste Charakterisierung des Protagonisten garantiert. Vergleichbar damit ist auch Szene 12, in der Alex am künstlichen See seines Wohnblocks die »alte Ordnung« unter seinen Droogs wiederherstellt. Hieran schließt sogleich der Überfall auf die Katzenlady, den Kubrick ebenfalls mit Rossini kommentiert. Da alle Szenen dramaturgisch gesehen denselben Inhalt tragen, soll lediglich die Schlägerei am Spielkasino exemplarisch analysiert werden. In Szene 6 wird der Zuschauer durch das Solo der Sopranistin zum ersten Mal mit Alex’ Beethoven-Wahn konfrontiert. Dieser Eindruck vertieft sich in Szene 7, in der Alex den Abend mit Beethovens neunter Sinfonie (II. Satz) sehr illustrativ ausklingen läßt. Während der zweiten Filmvorführung (Szene 24) erlebt Alex einen traumatischen Mißbrauch seines geliebten Komponisten, der sich in der letzten Szene 34 im Finale der neunten Sinfonie zu einer Vision wandelt, die seine »Heilung« signalisiert. Die jeweiligen Pendants dieser Zitate in anderen Lebensphasen von Alex werden während der Dramaturgie berücksichtigt.

11.2.1.  Entstehungsgeschichte und Genre

»Hinter meiner Themenwahl steht keine bewußte Absicht. Der mehr oder minder einzige Faktor besteht darin, daß ich versuche, mich nicht zu wiederholen. Da man verfilmbare Stoffe nicht systematisch suchen kann, lese ich alles, was mir in die Hände fällt.«2

2 Stanley Kubrick 1972 in einem Interview mit Michel Ciment, zit. n. Michel Ciment: Kubrick. München 1980, S. 157.
Im Gegensatz zu Visconti läßt sich Kubrick (1927–1999) keinem omnipräsenten Filmgenre zuordnen. In all seinen Filmen, angefangen mit The

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