Mit seiner Novelle Der Tod in Venedig
setzte er Mahler in aller Stille eine Art literarischen Gedenkstein:
»In diese Konzeption meiner Erzählung spielte, Frühsommer 1911, die
Nachricht vom Tode Gustav Mahlers hinein, dessen Bekanntschaft ich vordem
in München hatte machen dürfen, und dessen verzehrend intensive Persönlichkeit
den stärksten Eindruck auf mich gemacht hatte. Auf der Insel Brioni, wo ich
mich zur Zeit seines Abscheidens aufhielt, verfolgte ich in der Wiener Presse
die in fürstlichem Stile gehaltenen Bulletins über seine letzten Stunden, und
indem sich später diese Erschütterungen mit den Eindrücken und Ideen
vermischten, aus denen die Novelle hervorging, gab ich meinem orgiastischer
Auflösung verfallenen Helden nicht nur den Vornamen des großen Musikers,
sondern verlieh ihm auch bei der Beschreibung seines Äußeren die Maske
Mahlers, – wobei ich sicher sein mochte, daß bei einem so lockeren und
versteckten Zusammenhang der Dinge von einem Erkennen aufseiten der
Leserschaft garnicht würde die Rede sein können.«223
So versteckt die Hinweise auf Mahler hier noch sind, umso offensichtlicher geraten sie im Doktor Faustus, was den obengenannten Zusammenhang zwischen beiden Werken bestätigt. In dieser Hinsicht illustriert Maar zahlreiche Parallelen zwischen Manns Gesamtwerk und der äußeren wie persönlichen Erscheinung Gustav Mahlers, dessen Person des Komponisten ins Repräsentative der Künstlerfigur erhöht wird. In dem oben zitierten Brief an Mahler klingt vieles an. Mahlers Person, mit dessen Schaffen er das eigene, möglicherweise zu leichtgewichtige vergleicht, werde, so Maar, als »Verkörperung« des modernen Kunstwillens ins Überpersönliche, in eine große Konstellation gehoben. Mahlers Position in ihr fixieren Manns Beiworte »ernst« und »heilig«. Der Künstler als Heiliger: dies sei der Antagonist des Nur-Künstlers. Dieser antiwagnersche Künstlertypus wird besonders in Manns Frühwerk wiederholt beschworen.224 Indem Visconti seinen Film durch den Bezug zu Mahler ebenso tief in das Gesamtwerk einsenkt, vollzieht er in letzter Instanz den Schritt, den Mann selbst in seinem Werk vorgezeichnet hatte und läßt Mahlers Sinfonien in seinem Film für sich selbst sprechen. Insofern entzieht sich die oben zitierte Kritik der Mahler-Anhänger jeglicher Grundlage. Es ging Visconti nicht darum, den Komponisten als homosexuellen Mann hinzustellen, der letztlich einer »lüsternen Auflösung« erliegt. Wer dieses dramaturgische Detail zum filmischen Etikett des Adagiettos erheben möchte, hat die Zusammenhänge von Viscontis Umsetzung nicht begriffen. Die im Film lediglich angedeutete Homosexualität ist just eine weitere Variante des Sinnlichen, das zur Definition des Viscontischen Künstlerbildes vor dem Hintergrund einer gesellschaftlichen Spektralanalyse beiträgt. Während die Verbindung Mann-Mahler in der Novelle im Vergleich zum übrigen Werk Thomas Manns noch eher transparent ist, rückt Visconti sie in den Vordergrund, um den Mahlerschen Künstlertyp und seine Welt zu beschreiben, wobei hier die genannten Differenzierungen zwischen Mahler und Aschenbach zu beachten sind. Visconti soll sogar während der Dreharbeiten zu Bogarde gesagt haben: »Gib mir den Mahler, der die Neunte schrieb.« Wie auch einige andere phantastische Details in diesem Zusammenhang ist die Authentizität dieses Zitates nicht geklärt.225 Dennoch vermischen sich Manns Aschenbach und Mahler wie auch Viscontis Bezüge zu Manns anderen Werken. Damit erzählt Visconti Manns Novelle nicht nur anders, er entwirft eine andere Geschichte. Diese |