bezeichnet dies als
das »deutlichste Zeichen« der modernen Mahler-Rezeption, doch zugleich als
sinnverzerrend.211
211 Peter Wapnewski: »Gustav Mahler: Karriere als Passionsweg.« In: Hermann
Danuser/Helga de la Motte-Haber: Das musikalische Kunstwerk. Geschichte,
Ästhetik, Theorie (= Festschrift Carl Dahlhaus zum 60. Geburtstag). Laaber 1988,
S. 612.
|
Dies ergänzt Eggebrecht:
»Hier wurde Mahler, genauer: der Name Mahler, in eine massenhafte Öffentlichkeit
transportiert. Doch irreführend sind die Herauslösung des Adagiettos aus
dem Zusammenhang der Symphonie, die Ausdehnung dieser Musik auf Filmlänge
und die filmische Bebilderung, indem nämlich dies alles den Anschein erweckt,
als sei die sentimentale Schönheit des Stücks Musik gleichzusetzen mit Mahler
– eine gegenüber Mahler in Szene gesetzte Nivellierung und Verfälschung,
eine von der Kulturindustrie dargebotene Speise, die zwar satt macht und
doch keinen Hunger stillt.«212
212 Hans Heinrich Eggebrecht: Die Musik Gustav Mahlers. München/Zürich 1982, S. 290.
|
Stellt sich die Frage, welchen Hunger eine Filmmusik zu stillen hat. Die Dramaturgie
eines fiktionalen Films bietet kein Forum, um eine ganze Sinfonie zu bebildern. Dies wäre
schlichtweg eine Verfehlung der Funktion einer Filmmusik, ganz gleich ob es sich um ein
Zitat handelt oder um eine eigene Komposition. Natürlich ist Eggebrechts Einwand der
Nivellierung von Mahlers Musik durch einen aus seinem sinfonischen Zusammenhang
herausgenommenen Satz nicht ganz von der Hand zu weisen, doch kommt es (in
Anlehnung an die oben gestellte Frage) wirklich darauf an? Nein. Eggebrechts Einwand
demonstriert eine musikwissenschaftliche Haltung, die trotz der Einbindung des
Adagiettos in einen mächtigen und komplexen dramaturgischen Zusammenhang
an der Autonomie des Zitats festhält. Dabei übersieht er, daß Mahlers Musik
bereits mit dem Vorspann des Films funktionalisiert wird, ihr autonomer Wert
ist hier nicht mehr von Interesse. Der autonome Kontext des Adagiettos, der
Eggebrecht zufolge durch die Isolierung des Satzes verlorengeht, wird dagegen in
Viscontis Film durch die ihm eigenen Mittel der dramaturgischen Umsetzung
transparent.
Auch in den siebziger Jahren gab es Protest seitens mancher »Mahler-Verehrer«, die
in Viscontis Film eine »Mahler-Diffamierung« sehen wollten. Die Österreichische
Musikzeitschrift hat ihr Protestschreiben veröffentlicht. Einige Auszüge seien hier
zitiert:
»Wie aber steht es um den Zusammenhang, den die Novelle ›Der Tod
in Venedig‹ mit Gustav Mahler haben soll? Hiermit sei festgestellt, daß
der Inhalt der Novelle nichts – absolut nichts – mit Gustav Mahler zu tun
hat, noch hat Gustav Mahler etwas mit dem Inhalt der Novelle zu tun.
[...] Luchino Visconti hat in seinem Film den Inhalt von Thomas Manns
Novelle wie auch die historischen Tatsachen eigenwillig verfälscht, indem er
aus dem Schriftsteller Gustav von Aschenbach einen Komponisten werden
ließ, der in vielen Details peinlich genau Gustav Mahler ähnlich gemacht
wurde, einschließlich des leichten Schleppens seines linken Fußes. [...]
Indem Aschenbach mit Mahler identifiziert, und dabei willkürlich unterstellt
wird, daß die Novelle ›Der Tod in Venedig‹ auf einer Episode aus Mahlers
Leben basiert, hat der Film das Andenken an den großen Komponisten
beschmutzt. Im Film ist dargestellt, wie Mahler, der in Wien unter völlig
anderen Umständen starb, den schimpflichen Tod des Helden der Novelle
erleidet, der nach dem Autor ›lüsterner Auflösung erliegt.‹«
Weiter heißt es:
|