zu einem Wohlklang und Schönheit, dem Text zufolge Präsenz und Emotion,
der Gegenwart hinführt. Dies vollzieht er, um am Ende in die Trostlosigkeit
zurückzusinken – die Schönheit der Welt ist trügerisch, denn die Lust ist »tiefer
als Herzeleid«. Damit sinkt er harmonisch und melodisch zurück in jenen fast
gestaltlosen Urzustand, von dem er ausging. Gegenüber der Geschichte, dem Schlaf,
der anfangs besungen wird, versagt sich die Erfüllung der Schönheit in der
Gegenwart. Eindringlicher noch als die Metaphern des Textes »reflektiert die Musik
die Unmöglichkeit, als Gattung den Kosmos aus der Kraft der Kunst dauernd
zu beschwören. Doch gerade diese Aufgabe bleibt der Kunst als Legitimation
aufgegeben.«205
Somit charakterisiert Mahler im vierten Satz den Menschen, sein Schicksal und sein
Leid, denn die Schönheit der Nacht, mit der der Mensch ein obskures und zweifelhaftes
Gespräch führt, ist nicht von langer Dauer. Die Idylle der Natur wird in das »Weh« der
Gegenwart versetzt. Die Idylle, Lust und Schönheit haben nur Bestand in der Ewigkeit,
sprich im Jenseits.
11.1.4.2 Die dramaturgische UmsetzungDas Mitternachtslied Gustav Mahlers markiert den Mittelpunkt des Films. Nachdem Aschenbach nach Venedig zurückgekehrt ist, geht er an den Strand, um die Nähe Tadzios zu suchen. Die langsame Einleitung beginnt mit einer sehr kurzen Großaufnahme Tadzios (vgl. Sequenzprotokoll Anhang B.2.6). Durch den Liegeton A wird eine Spannung geschaffen, die sich während der folgenden Takte des langsamen Sekundenwechsels, des »Naturmotivs«, fortsetzt, währenddessen sich in der Gegenwartshandlung noch scheinbar »Banales« abspielt: die Gouvernante versorgt Tadzio wie ein Kind, sie trocknet ihn ab und legt ihm ein weißes Handtuch um. Erinnert man sich an die Beschreibung Tadzios als griechische Götterstatue, so wirkt auch das weiße Handtuch in diesem Moment wie eine Toga. Auch in dieser Szene rückt Visconti die polnische respektive französische Sprache innerhalb von Tadzios Familie akustisch in den Vordergrund. Ohne Zweifel bezieht sich diese auffällige Wiedergabe der Fremdsprache auf jene Szene in der Novelle, in der es heißt, daß die Europäer, die inzwischen von der Cholera erfahren haben, abgereist sind: »als ob die deutsche Sprache um ihn [Aschenbach] her versiege und verstumme, so daß bei Tisch und am Strand endlich nur noch fremde Laute sein Ohr trafen.«206 Wie im Zauberberg wird sie hier mehr denn je zur Sprache der Liebe, des Unbewußten, Abseitigen und der Verführung. Indem sich diese fremdländisch exotische Standatmosphäre mit der Musik vermischt, trägt sie dem musikalischen »Naturmotiv« Rechnung. Auf diese Weise wirken beide Elemente der auditiven Schicht – die der Musik und der »Geräusche« – zugleich antizipierend.Die Musik bildet in den ersten zwei Einstellungen einen klaren Kontrapunkt zum Geschehen, denn die »Pflegeprozedur« der Gouvernante wirkt eher alltäglich als daß sie einen mystischen Hintergrund habe sollte, der die langsame Einleitung rechtfertigen könnte. Exakt mit dem Schnitt setzt das Altsolo ein: Aschenbach beobachtet die Familie amüsiert, sein Gesichtsausdruck verrät einen gewissen Enthusiasmus, der jedoch zunächst nur eine Vermutung bleibt, ähnlich wie die unbestimmte |