Die Verwendung autonomer Musik im Film ist ein Phänomen, das seinen Ursprung in
den Kindertagen des Films – dem Stummfilm – hat und heute mit Vorliebe verwendet
wird. Zwar muß man die Funktionalität heutiger Zitate von der Stummfilmpraxis
unterscheiden1
1 Vgl. Kap. 6, Tendenzen der autonomen Musik im Laufe der Filmgeschichte.
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doch verfügt die Filmgeschichte aufgrund dieser verhältnismäßig langen Tradition über
eine große Vielfalt an Filmen, in denen autonome Musik zitiert wird. Eine gezielte
Auswahl an Filmen war aufgrund dieser Fülle nicht nur sinnvoll, sondern für unsere
Fragestellung geradezu notwendig. Hans-Christian Schmidt stellt in seiner These die
Frage nach der dramaturgischen Verwertung eines musikalischen Kontextes: autonome
Musik agiert seinen Ausführungen zufolge als bewußt eingesetztes dramaturgisches
Mittel. Die Musik erhält eine aktive Funktion, sie »spricht« für sich und die
Handlung. Dies setzt voraus, daß die zitierte Musik eine Substanz haben muß – sei
es innermusikalisch oder entstehungsgeschichtlich – die mit dem Inhalt und
der Dramaturgie des Films auf erdenkliche Weise kompatibel ist. Die erste
Frage lautet daher: warum wird ausgerechnet dieses Werk zitiert und nicht
irgendein anderes? Die vorangestellte These forderte somit eine Vorauswahl an
Filmen, in denen ein bewußter Umgang mit der Musik offensichtlich ist, deren
Zitate ganz gezielt eingesetzt werden. Demgegenüber steht eine Fülle an Filmen,
in denen autonome Musik – ob »klassischer« Art oder aus dem Bereich der
Rock- und Popmusik – lediglich als plakativer Stimmungsteppich eingesetzt
wird. Beispiele gibt es genug: In Sydney Pollacks Jenseits von Afrika erklingt
Mozarts A-Dur-Klarinettenkonzert zu den idyllischen Bildern der endlosen
afrikanischen Steppe, in der die Afrika-Romanze der dänischen Aussteigerin
Tania Blixen gegen Ende der Kolonialzeit ihren romantischen Anfang und ihr
trauriges Ende nimmt. Der Film beginnt mit einer traumartigen Reminiszens der
Erzählerin, die uns zu den Bildern einer blutroten Abenddämmerung über der kargen
Steppe von »ihm« erzählt – von Denys Finch Hatton, dem blonden smarten
Abenteurer und Schwarm ihres Herzens. Ein filmmusikalisches Klischee, wie es
Keller2
2 Matthias Keller: Stars and Sounds. Filmmusik – Die dritte Kinodimension. Kassel 1996,
S. 76.
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ganz treffend formuliert. Mozart, so Keller, steht hier für ein klangliches Idiom einer
Gesellschaft, deren sozialen und emotionalen Zwängen Karen zwar zu entfliehen
versucht, deren Geist und Erziehung sie jedoch immer wieder einholt. Dem
nostalgischem Reiz der Musik wird gerade dadurch gehuldigt, daß Karen den langsamen
elegischen Satz zu ihrem Lieblingsstück erklärt. Doch ebenso hätte es jedes andere
Stück aus der klassisch-romantischen Literatur sein können, das Karen zu ihren
melancholischen Monologen beflügelt – und dies zu den üppigen Bildern einer
afrikanischen Steppe, die manches Mal von einer Zigarettenwerbung nicht mehr zu
unterscheiden sind. Hinzu kommt die Tatsache, daß dieses Werk gerne da zitiert wird, wo
es gilt, eine »romantisch triefende« Stimmung zu erzeugen. Andere Beispiele: In Hal
Ashbys Harold und Maude (USA 1971) stolziert Harolds Mutter majestätisch in den
Pool, während ihr Sohn gerade wieder einmal seinem makabren Todeskult nachgeht
und eine Wasserleiche mimt – begleitet vom üppigen einleitenden Melos des
Klavierkonzertes b-Moll von Tschaikowsky. Grotesk, aber sehr wirkungsvoll.
Volker Schlöndorff läßt seinen Oskar Matzerath im Dreivierteltakt gegen den
zackigen Badenweiler-Marsch der Nationalsozialisten antrommeln
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