– so wie auch das
Adagietto keinen Abschluß aufweist. Indem Visconti Mahlers Adagietto auch im
laufenden Abspann weiterfließen läßt, schafft er eine syntaktische Einheit des Films,
denn die in der ersten Sequenz antizipierten Erwartungen, beispielsweise das
bedrohlich wirkende Schiff oder der musikalische Kontrapunkt zu den Bildern des
Sonnenaufgangs, werden im Laufe der Dramaturgie verarbeitet und mit dem
Tod Aschenbachs letztlich eingelöst. Dramaturgisch gesehen vereint die Musik
noch einmal die wichtigsten Motive des gesamten Films. Zum einen das Motiv
der Falschheit: Aschenbachs »Verjüngung« war nur eine Illusion. Er fällt der
entfliehenden Zeit zum Opfer und scheitert letztlich an seiner Sehnsucht. Liebes- und
Sehnsuchtsmotiv vereinen sich hier. Alle diese Motive werden letztlich im Nirwana- und
Todesmotiv aufgelöst, die Musik erfährt hierdurch ihre stärkste Semantisierung im
dramaturgischen Verlauf. Damit läßt sich diese Szene als endgültiger Umschlagplatz in
der Bildersprache des Films ansehen, die sich gegenüber der Musik absolut analog
verhält. Darüber hinaus fungiert das Adagietto hier als psychologische Affirmation
der Emotionen des Zuschauers auf den Tod des Protagonisten. Das Schicksal
Aschenbachs wird auf diesem Wege emotional überhöht und dem Zuschauer
mitgegeben.
11.1.4. Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 3 d-Moll, IV. Satz Mitternachtslied
11.1.4.1 Der musikalische Kontext des Zitats
Die Sinfonie in d-Moll ist mit Altsolo, Frauen- und Knabenchor besetzt nach Worten von
Friedrich Nietzsche und aus »Des Knaben Wunderhorn«. Sie entstand in den Jahren
1895/96. Zu dieser Zeit war Mahler zwar ein erfolgreicher Dirigent am Hamburger
Stadttheater, seine Kompositionen aber wurden noch nicht anerkannt, und er hatte
Mühe, sie aufzuführen. Dennoch setzte er seine Tätigkeit als Komponist fort, da er vor
allem von dem Gedanken besessen war, erneut ein sinfonisches Werk zu schaffen, das
seinen Gedanken Ausdruck verlieh. Diese Motivation läßt sich auch in bezug auf die
dritte Sinfonie deutlich verfolgen. Mahler vollendete die Sinfonie in Steinbach am
Attersee. In einem Brief an Friedrich Löhr schreibt Mahler im Sommer 1895, daß die
Sinfonie seinem persönlichen Empfindungsleben als dem, was die Dinge ihm
erzählen, entspreche. Seiner »liebsten Anna« schreibt er: »Meine Symphonie
wird etwas sein, was die Welt noch nicht gehört hat! Die ganze Natur bekommt
darin eine Stimme und erzählt so tief Geheimes, was man vielleicht im Traume
ahnt!«192
192 G. Mahler, Brief an Anna Bahr-Mildenburg im Sommer 1896, zit. n. Blaukopf 1982,
S. 165–166, vgl. auch Stenger 1998, S. 78.
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Ideelle und geistige Geschlossenheit prägen den symphonischen Charakter der Dritten.
Mahler wollte hier naturphilosophische und mythische Gehalte einander durchdringen
lassen. Das Ausmaß dieser Durchdringung verdeutlichen die programmatischen
Satzbezeichnungen.193
Ursprünglich hat Mahler dem vierten Satz den Titel »was mir die Liebe erzählt«
gegeben: »Was mir die Liebe erzählt, ist ein Zusammenfassen meiner Empfindungen
allen Wesen gegenüber, wobei es nicht ohne tief schmerzliche Seitenwege abgeht, welche
sich aber
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