zugunsten der Musik jedes
Geräusch, Aschenbachs Seelenzustand wird wie in einem musikalischen Vakuum
präsentiert.
In dem Moment, wo Aschenbach sich gegen seine Abreise entscheidet, wird das
Adagietto wieder leise eingeblendet; die Semantisierung wird fortgesetzt mit seiner
Aussicht, Tadzio wiederzusehen, was wiederum auf Mengelbergs Interpretation
des Satzes deuten könnte. Im Gegensatz zu den ersten Einstellungen wird die
Geräuschkulisse nicht ausgeblendet, sondern geht sogar mit dem Crescendo der
Musik: Aschenbachs Hinwendung zum natürlich Abseitigen ist keine Illusion
mehr, sondern wird zur Realität. Erst auf dem Höhepunkt des ersten Themas
wird die Bahnhofsatmo heruntergefahren. Die dissonante verminderte None auf
dem C -Akkord in Takt 32 hat bereits eine antizipierende Funktion, denn
kurz vor der Dominante C-Dur folgt der Schnitt auf den Cholerakranken, der
vor Aschenbachs Augen zusammenbricht. Eine Spannung entsteht sowohl in
der Musik als auch in Aschenbachs Gesicht. Die Musik fließt weiter wie die
Menschenmenge, die achtlos an dem Sterbenden vorbeigeht. Dennoch wird die Musik in
den Einstellungen zehn bis zwölf von der paraphrasierenden Zuordnung zur
visuellen Ebene in eine kontrapunktierend kommentierende gekehrt. Die durch
die noch unaufgelöste Kadenz erzeugte Spannung charakterisiert den Bruch
zwischen dem zarten Gestus der Musik und den Bildern des Sterbenden. Die
Schönheit des ersten Themas wird mit dem Todesmotiv konfrontiert. Diese
Diskrepanz wird sogleich in Takt 38 wieder aufgenommen, jedoch in umgekehrter
Konstellation. Während Visconti einen Aschenbach präsentiert, der zufrieden im Boot
zum Lido sitzt und sich an dem sonnigen Anblick der Stadt erfreut, setzt das
zweite Thema das dramaturgische Todesmotiv nun musikalisch fort, denn es
charakterisiert jenen Mahler-Weltschmerz, der die Diskrepanz zwischen Leben
und Tod beschreibt. Die Kontrapunktierung wird hiermit fortgesetzt, denn
den schönen Bildern der Stadt – Visconti setzt die Häuser hier bewußt ins
Sonnenlicht – muß nicht nur dramaturgisch, sondern auch musikalisch der Tod
entgegengesetzt werden. Zu alledem ist die Musik hier auch vorausdeutend, da
das zweite Thema auf Aschenbachs Tod hindeutet, der durch die Seuche in
der Stadt verursacht wird, die ihm jetzt noch so angenehm und untrügerisch
erscheint. In Einstellung 14 erfaßt die Kamera Aschenbach nun in Aufsicht, um im
Hintergrund die blaue Lagune zu zeigen. Wiederum wird das Adagietto mit
dem Nirwana- und dem Todesmotiv konfrontiert. Die Kontrapunktierung setzt
sich fort bis zum Takt 47. Die Melodie moduliert in einen ruhigeren Gestus
nach Ges-Dur. Mit dem Beginn des dritten Themas öffnet Aschenbach das
Fenster, auf die erste Steigerung, die auf dem h” verweilt, erfolgt ein Zoom auf
Tadzio, der unten am Strand spazierengeht. Die kontinuierliche Steigerung
des Themas illustriert Aschenbachs steigende Sehnsucht. Mit seiner zögerlich
pathetischen Begrüßungsgeste erreicht das Thema in Takt 57 seinen Höhepunkt. Das
Sehnsuchtsmotiv ist auch noch präsent, als Aschenbach an den Strand geht und sich
einen Liegestuhl in der Nähe der polnischen Familie sucht. Indem er sich nun vom
klassischen Ideal zur Natürlichkeit hinwendet, entfernt er sich gleichzeitig von Manns
Protagonisten und nähert sich der Persönlichkeit Mahlers an, der in seinen
Werken stets eine Harmonie zwischen diesen Positionen suchte, indem er die
Inspiration durch seine Außenwelt in einem geistigen Akt stilisierte. Damit traten
romantischer Hedonismus und Tradition in einer neuen Form in seinen Werken
zusammen, welche die Grenzen der Tonalität
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