»Hintergrundfüllsel«, denn Aschenbachs Monolog
über die unbemerkt verstreichende Zeit – das Motiv der entfliehenden Zeit –
entsprechen analog dazu Tempo und Rhythmus des Adagiettos. Wie bereits
in der ersten Sequenz erwähnt, wirkt auch das Adagietto »zeitlos« durch die
romantische Art der Themenverarbeitung. Das erste Thema wird nicht im klassischen
Sinne kompromißlos weitergeführt, sondern durch Variation erst entwickelt. Der
einheitliche Rhythmus des Motiv I zieht sich durch alle Takte, ein einheitlicher
Zeiteindruck entsteht. Der alternierende Wechsel von Ruhe und Weiterführung bzw.
die durch die Vorhalte verzögerte Auflösung der Kadenzen erzeugte Spannung
und Entspannung bewirkt vergleichsweise wie in der ersten Sequenz, daß der
Zuschauer die »Zeit nicht verstreichen spürt«. Der langsame Rhythmus der Musik
wird zunächst direkt auf der Eins des ersten Taktes durch einen langsamen
Kameraschwenk paraphrasiert, dem sich aus dem Vorhalt a zur Dominanten in
Takt drei ein Zoom auf Aschenbach anschließt. Die Nahaufnahme suggeriert
wiederum die fiktive Nähe zum Zuschauer, die Musik wird affirmativ eingesetzt. Bei
Aschenbachs Worten »Und im letzten Augenblick« (Takt 13) wird in einer
Modulation eine Kadenz eingeleitet, die sich auf den Worten »da bleibt uns keine Zeit
mehr« in a-Moll auflöst. Die Sequenz schließt mit dem Motiv II auf a-Moll,
welche durch die Modulation zur beschließenden Tonika wird. Aschenbachs
Aussage bekommt dadurch den Charakter der unabänderlichen Tatsache. In
diesem Augenblick wird die Musik neben der allgemeinen Paraphrasierung
auch zum Symbol im Sinne von Thiels affirmativer Bildinterpretation, denn sie
weist durch ihre geschlossene Kadenz auf die Endgültigkeit der verlorenen Zeit
Aschenbachs hin, die jedoch erst viel später im dramaturgischen Verlauf deutlich
wird.
Das Adagietto erscheint hier zunächst als Bildton oder aktuelle Musik und charakterisiert sogleich die entspannte und erleichterte Atmosphäre nach Aschenbachs Zusammenbruch. Doch mit dem Kameraschwenk verschwindet Alfried aus dem Blickfeld des Zuschauers, die Konzentration verlagert sich durch den Kamerazoom auf Aschenbach: das Adagietto wird zum Fremdton, der bis zum Schluß der Rückblende erhalten bleibt. Die entspannte Atmosphäre des Anfangs wird im Verlaufe von Aschenbachs Monolog über die verlorene Zeit durch die Musik aus dem off weitaus intensiver eingefärbt, da ihre die semantische Bedeutung nun die reine Quelle der Herkunft überlagert. Die Rückkehr des Adagiettos markiert es spätestens hier als musikalisches Leitmotiv, sogar als Leitthema. Dadurch erhält es zudem im nachhinein seine leitthematische Berechtigung als main-title. Schon während der ersten Sequenz hatte der Zuschauer lange Gelegenheit, sich das Thema einzuprägen, so daß er es schnell wiedererkennt. Die Variation des Themas in Form der vorliegenden Klavierfassung vermeidet zudem eine »sklavische Abhängigkeit« (Maas) zwischen Leitthema und Bildern. Das wiederkehrende Adagietto verweist unmißverständlich auf die Person Aschenbachs respektive seine psychologische Entwicklung. Es wird bei jeder filmischen Präsentation um ein dramaturgisches Leitmotiv erweitert. Während es in der ersten Sequenz das Todes- bzw. Nirwana-Motiv war, ist es nun das Motiv der entfliehenden Zeit. In dieser Hinsicht widerspricht es in seiner syntaktischen Funktion auch Adorno und Eisler, die das Leitmotiv in der Filmmusik lediglich als phantasieloses »trade mark« abqualifizieren, denn der semantische Gehalt des Satzes bestätigt ein neues Leitmotiv der Dramaturgie. Gleichzeitig antizipiert |