- 265 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (264)Nächste Seite (266) Letzte Seite (600)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

der Vielfalt an Wert- und Handlungsbezügen überhaupt noch als einheitliches Ganzes verstanden werden konnte. Es ist ein Epochengefühl der Zeit: die Erkenntnis des Verlustes einer sinnzentrierenden Einheit, der seinen Höhepunkt mit dem Untergang der einheitgaratierenden Monarchie am Ende des Ersten Weltkrieges erreicht. Dies schlägt sich auch durch jene Collagentechnik in Mahlers Musik wider. Die Einheit ist nur noch im Kunstwerk möglich, und selbst diese wird erzwungen. Als solche ist Mahlers Musik auch eine Vorausdeutung auf die Musik es 20. Jahrhunderts, die man in der Fünften besonders in den zwei Themen des Scherzos wiederfindet. Mahler selbst hielt es für den wichtigsten Satz der fünften Sinfonie: »Das Scherzo ist ein verdammter Satz! Der wird eine lange Leidensgeschichte haben! Die Dirigenten werden ihn fünfzig Jahre zu schnell nehmen und einen Unsinn daraus machen, das Publikum – o Himmel – was soll es zu diesem Chaos, das ewig auf’s Neue eine Welt gebärt, die im nächsten Moment wieder zugrunde geht, zu diesen Urweltsklängen [. . . ] für ein Gesicht machen? [. . . ] O, könnt ich doch meine Sinfonien fünfzig Jahre nach meinem Tode uraufführen!«141
141 G. Mahler, zit. n. Csampai 1987, S. 632.
Bezeichnenderweise dauerte es tatsächlich an die fünfzig Jahre bis eine neue »Mahler-Renaissance« in der Musikwelt ausbrach, denn erst nach Komponisten wie Schönberg oder Webern war man in der Lage, den Strukturgedanken Mahlers zu verstehen, nämlich die Grenzen der tradierten Tonalität zu durchbrechen und fast schon an den Rand der seriellen Musik zu geraten. Damit steht er am Ende der Geschichte einer musikalischen Gattung der Sinfonie, die für ein ganzes Zeitalter, das der bürgerlichen Musik des 19. Jahrhunderts, repräsentativ war. So war Mahler zwar ein Komponist der Gegenwart, seine Werke waren jedoch bereits Zukunftsmusik.142
142 Rudolf Stephan: Gustav Mahler. Werk und Interpretation. Köln 1979, S. 10.
Erwin Ratz schreibt in diesem Zusammenhang: »Er stand an einem entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte der Menschheit, der naturgemäß auch in der Musik seine Widerspiegelung fand. Der radikale Wandel der musikalischen Sprache zu Beginn unseres Jahrhunderts, der mit innerer Notwendigkeit zur Preisgabe der Tonalität führen mußte, war die unvermeidliche Konsequenz unseres Eintrittes in das Zeitalter der äußeren moralischen und physischen Gefährdung. Obwohl Mahler in der Wahl seiner Ausdrucksmittel auf die vorwagnersche Zeit zurückgriff und bis zuletzt an der Tonalität festhielt, trug er dennoch zu dieser Entwicklung Entscheidendes bei. Die Transparenz seiner Instrumentation, [...] die Konzentration der Darstellung, die Härte mancher Linienführung bildeten die Voraussetzungen für die Entwicklung der »Wiener Schule«.«143
143 Erwin Ratz: Persönlichkeit und Werk, 1960, zit. n. Schreiber 1997, S. 170; vgl. auch: Wolf Rosenberg: »Mahler und die Avantgarde: Kompositionstechnisches Vorbild oder geistige Sympathie?« In: Kolleritsch 1977, S. 81–92.

Die Sinfonie Nr. 5 cis-Moll leugnet durch fünf Sätze die klassische Viersätzigkeit und ist in drei Abteilungen aufgeteilt. Die Harmonie des Werkes spannt einen weiten Bogen von cis-Moll im ersten Satz bis nach D-Dur im Finale. Die erste Abteilung umfaßt die ersten zwei Sätze (1. »Trauermarsch. In gemessenem Schritt. Streng. Wie ein Kondukt«, 2. »Stürmisch bewegt. Mit größter Vehemenz«). Die zweite Abteilung besteht lediglich aus dem dritten und größtem Satz, dem Scherzo (»Kräftig, nicht zu schnell«). Das Adagietto (»Sehr langsam-attaca«) und das Rondo-Finale bilden die dritte Abteilung (»Allegro-Allegro giocoso«). Auch wenn Mahler der Sinfonie kein deutliches Programm beigegeben


Erste Seite (i) Vorherige Seite (264)Nächste Seite (266) Letzte Seite (600)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 265 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik