der
Vielfalt an Wert- und Handlungsbezügen überhaupt noch als einheitliches Ganzes
verstanden werden konnte. Es ist ein Epochengefühl der Zeit: die Erkenntnis
des Verlustes einer sinnzentrierenden Einheit, der seinen Höhepunkt mit dem
Untergang der einheitgaratierenden Monarchie am Ende des Ersten Weltkrieges
erreicht. Dies schlägt sich auch durch jene Collagentechnik in Mahlers Musik
wider. Die Einheit ist nur noch im Kunstwerk möglich, und selbst diese wird
erzwungen. Als solche ist Mahlers Musik auch eine Vorausdeutung auf die Musik
es 20. Jahrhunderts, die man in der Fünften besonders in den zwei Themen
des Scherzos wiederfindet. Mahler selbst hielt es für den wichtigsten Satz der
fünften Sinfonie: »Das Scherzo ist ein verdammter Satz! Der wird eine lange
Leidensgeschichte haben! Die Dirigenten werden ihn fünfzig Jahre zu schnell
nehmen und einen Unsinn daraus machen, das Publikum – o Himmel – was soll
es zu diesem Chaos, das ewig auf’s Neue eine Welt gebärt, die im nächsten
Moment wieder zugrunde geht, zu diesen Urweltsklängen [. . . ] für ein Gesicht
machen? [. . . ] O, könnt ich doch meine Sinfonien fünfzig Jahre nach meinem Tode
uraufführen!«141
141 G. Mahler, zit. n. Csampai 1987, S. 632.
|
Bezeichnenderweise dauerte es tatsächlich an die fünfzig Jahre bis eine neue
»Mahler-Renaissance« in der Musikwelt ausbrach, denn erst nach Komponisten wie
Schönberg oder Webern war man in der Lage, den Strukturgedanken Mahlers zu
verstehen, nämlich die Grenzen der tradierten Tonalität zu durchbrechen und fast
schon an den Rand der seriellen Musik zu geraten. Damit steht er am Ende der
Geschichte einer musikalischen Gattung der Sinfonie, die für ein ganzes Zeitalter,
das der bürgerlichen Musik des 19. Jahrhunderts, repräsentativ war. So war
Mahler zwar ein Komponist der Gegenwart, seine Werke waren jedoch bereits
Zukunftsmusik.142
142 Rudolf Stephan: Gustav Mahler. Werk und Interpretation. Köln 1979, S. 10.
|
Erwin Ratz schreibt in diesem Zusammenhang:
»Er stand an einem entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte der
Menschheit, der naturgemäß auch in der Musik seine Widerspiegelung fand.
Der radikale Wandel der musikalischen Sprache zu Beginn unseres Jahrhunderts,
der mit innerer Notwendigkeit zur Preisgabe der Tonalität führen mußte,
war die unvermeidliche Konsequenz unseres Eintrittes in das Zeitalter der
äußeren moralischen und physischen Gefährdung. Obwohl Mahler in der
Wahl seiner Ausdrucksmittel auf die vorwagnersche Zeit zurückgriff und bis
zuletzt an der Tonalität festhielt, trug er dennoch zu dieser Entwicklung
Entscheidendes bei. Die Transparenz seiner Instrumentation, [...] die Konzentration
der Darstellung, die Härte mancher Linienführung bildeten die Voraussetzungen
für die Entwicklung der »Wiener Schule«.«143
143 Erwin Ratz: Persönlichkeit und Werk, 1960, zit. n. Schreiber 1997, S. 170; vgl. auch: Wolf
Rosenberg: »Mahler und die Avantgarde: Kompositionstechnisches Vorbild oder geistige
Sympathie?« In: Kolleritsch 1977, S. 81–92.
|
Die Sinfonie Nr. 5 cis-Moll leugnet durch fünf Sätze die klassische Viersätzigkeit und ist in
drei Abteilungen aufgeteilt. Die Harmonie des Werkes spannt einen weiten Bogen von cis-Moll
im ersten Satz bis nach D-Dur im Finale. Die erste Abteilung umfaßt die ersten zwei Sätze (1.
»Trauermarsch. In gemessenem Schritt. Streng. Wie ein Kondukt«, 2. »Stürmisch bewegt.
Mit größter Vehemenz«). Die zweite Abteilung besteht lediglich aus dem dritten
und größtem Satz, dem Scherzo (»Kräftig, nicht zu schnell«). Das Adagietto (»Sehr
langsam-attaca«) und das Rondo-Finale bilden die dritte Abteilung (»Allegro-Allegro giocoso«).
Auch wenn Mahler der Sinfonie kein deutliches Programm beigegeben
|