vieler verschiedener Stile, um seiner Intention, »eine Welt der Gefühle
aufzubauen«, nachkommen zu können, verleitete die ersten Kritiker zu der Ansicht, er habe
keinen eigenen Stil. Cooke hält jedoch dagegen, daß gerade die Vereinigung vieler
verschiedener Stile in einem Werk, das eine Aussage haben soll, die Kunst Mahlers
ausmacht. Jegliche Verurteilung nach klassischem Standard würde dem Zeitgeist der
Epoche Mahlers zudem nicht gerecht werden, denn den klassisch gestrafften Werken
Beethovens steht seine Musik wie eine Autobiographie gegenüber, in der sich Gefühl und
Geist gegenüberstehen, die er in eine Harmonie zu bringen sucht: Einige Beispiele der
verschiedenen Stile sind der österreichische Volksliedstil, angelehnt an Schubert und Bruckner,
bezeichnend für Mahlers Freude an der Natur, weiterhin Wagners Melodik und chromatische
Harmonik. Verzweiflung und Tod – fundamentale Gefühlszustände Mahlers, die jene
Lebensfreude in seinen Werken regelmäßig überschatten – drückt er durch schräge
Chromatik und groteske Orchestrierung aus. Der »Kampf gegen das Schicksal«, das
entscheidend für die romantische Lebensauffassung war, äußert sich in seinen Werken durch
hämmernde Rhythmik und das Marschtempo. Die Akzeptanz des Todes reflektiert er in
Trauermärschen – der Tod als Niederlage – oder als ewiger Friede in spätromantischer
»Sonnenuntergangsstimmung.«130
Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 5 cis-Moll, IV. Satz Adagietto
Die fünfte Sinfonie Mahlers markiert den Beginn einer »mittleren Schaffensperiode«,
in der reine Instrumentalwerke entstanden. Seine ersten vier Sinfonien waren stark
geprägt durch die Gedichtsammlung Des Knaben Wunderhorn. Ihre Integration
in einzelne Sinfoniesätze offenbart die große Nähe zu den Inhalten der Texte
und Mahlers Weltanschauung in persönlicher, psychologischer und religiöser
Hinsicht.131
So war diese sinfonische Tetralogie besonders geprägt durch die Naturidee, christliche
Symbolik (zweite) oder dionysischen Pantheismus (dritte). In all diesen Werken ist
die Lyrik der Mahlerschen Lieder präsent. Die deutliche Programmatik der ersten
Sinfonien ist mit Beginn der Fünften nicht mehr vorhanden, nur noch in subtiler
Andeutung. Weder Chöre noch Soli werden dieses Mal bemüht. Obwohl die Sinfonie nach
dem ersten Satz Nr. 5 in cis-Moll benannt wurde, sieht Mahler in dem zweiten Satz
den Hauptsatz in a-Moll, ein Hinweis darauf, daß die Komposition dieses Werkes
nicht chronologisch vonstatten ging, sondern Mahler bruchstückhaft im Zuge seiner
Einfälle gearbeitet und die Sätze erst später in eine Gesamtkonzeption eingegliedert
hat.132
132 Alphons Silbermann: Lübbes Mahler Lexikon. Bergisch Gladbach 1986, S. 266.
|
Rolland nennt die Fünfte ein »Gemisch von Strenge und
Zusammenhanglosigkeit«133
133 R. Rolland, zit. n. Stenger 1998, S. 126.
|
.
Formale Entschlossenheit in Form von konsequent durchgeführten polyphonen
Abschnitten steht einer Unentschlossenheit gegenüber, die durch stilistische
Neuorientierungen bedingt ist. Positiv gesehen, so Stenger, könne die Sinfonie
als ein Werk des Übergangs verstanden werden. So nennt Bekker sie einen
ersten Schritt Mahlers auf eine »Neugestaltung der Welt aus dem eigenen
Ich.«134
Mahler beginnt die Komposition der fünften Sinfonie im Sommer 1901 während eines
Ferienaufenthaltes in Maiernigg am Wörthersee, wo er sich von seiner anstrengenden
Tätigkeit an der Wiener Hofoper erholt. Er vollendet die Sinfonie im Herbst 1902.
Dem Werk vorausgegangen war die Komposition von vier Liedern auf Texte
von Friedrich Rückert (»Blicke mir nicht in die Lieder!«, »Ich atmet’ einen
|