- 257 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (256)Nächste Seite (258) Letzte Seite (600)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

Der Tod begegnet Mahler nicht nur in Form von politischen Ereignissen, sondern bereits in frühester Kindheit in seiner Familie. Gustavs jüngerer Bruder stirbt im Alter von dreizehn Jahren, seine Schwester Leopoldine stirbt im Jahre 1889 – im selben Jahr wie seine Eltern – im Alter von erst 26 Jahren. 1895 macht sein Bruder Otto, erst 21 Jahre alt, seinem Leben mit der Kugel ein Ende. Die »Splendid Isolation«, wie Gustav und Alma Mahler die Jahre ihrer sommerlichen Zurückgezogenheit nannten, beendet jäh der Tod ihrer ältesten Tochter Maria Anna, die kurz nach der Ankunft der Familie in Maiernigg im Sommer 1907 an Scharlach und Diphterie erkrankt und ein paar Wochen später stirbt. Zwei Jahre zuvor hatte Mahler den Zyklus seiner Kindertotenlieder veröffentlicht. Hier konnte er noch nicht ahnen, daß das Leben seiner Kunst auf diese Art und Weise auf den Fersen war.105
105 Schreiber 1997, S. 112.

Grausamkeit und Tod gehen bei Mahler einher mit der Frage nach dem Wert des Lebens. Cooke relativiert hier jedoch die Bedeutung des Todes. So sehr Mahler auch innerlich von dem Todesgedanken besessenen wäre, so sei dieser doch ein Produkt seines instinktiven Glaubens an das Leben.106

106 Cooke 1988, S. 10.
Die Umbrüche seiner Zeit geben ihm dennoch Rätsel auf, die ihn quälenden Daseinsfragen gipfeln in der in den Titeln der Lieder angedeuteten Ambivalenz zwischen Empirie und Transzendenz.107
107 Stenger 1998, S. 7–8.
Das Rätsel der menschlichen Existenz, die einerseits durch die für ihn ernüchternde Ablehnung seiner Werke durch seine Zeitgenossen (Mahler: »Muß man denn immer erst tot sein, bevor einen die Leute leben lassen?«108
108 G. Mahler, Brief an Rudolf Kastner, (vermutl.) November 1904, zit. n. A. Mahler 1924, S. 341.
), Schmerz und Tod, andererseits durch seinen ungebändigten Drang nach Leben und Individualität sowie seiner Sehnsucht nach Glück und Ruhe charakterisiert wird, beschäftigt Mahler kontinuierlich. Auf seine in jenen unruhigen Zeiten immerwährende Frage, »was die Welt im Innersten zusammenhält« (Faust) sucht er eine Antwort in den Naturwissenschaften und in der deutschen romantischen Literatur, in der Philosophie Schopenhauers und Nietzsches. Letzteren »verschlang« er besonders während seiner Hamburger Zeit. Mahler konnte nicht wie Bruckner auf einen geerbten Glauben zurückfallen, denn er akzeptierte weder die jüdische Religion noch den katholischen Glauben, obwohl die Sphäre der katholischen Mystik eine starke Anziehung auf ihn ausübte.109
109 Schreiber 1997, S. 71.
Auch konnte er sich als »Spätromantiker« der Frage des Hedonismus nicht verweigern noch ihn vollständig annehmen wie etwa Delius. Schreiber faßt präzise die Widersprüche, die sich in Mahlers Persönlichkeit vereinen als Ergebnis einer Zeit zusammen, die im Umbruch begriffen ist: »Eine oft entwaffnende Naivität vertrug sich mit scharfem, kritischem Intellekt; Festhalten an der Tradition, der er entstammte, mit einem rastlos experimentierenden Geist; tiefe Naturgläubigkeit mit einer von Zweifeln erschütterten Seele; lapidarer Ausdruck mit monumentalem Pathos; Lied mit Symphonie. Mahler liebte das Leben mit allen seinen Sinnen und war zugleich ein asketischer Mystiker im Geiste; er wußte sich mit Geschick in seiner Umwelt zu behaupten und war doch allen Möglichkeiten der Utopie und der Träume verfallen.«110
110 Schreiber 1997, S. 127.


Erste Seite (i) Vorherige Seite (256)Nächste Seite (258) Letzte Seite (600)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 257 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik