- 255 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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schreiben. [...] Wenn ich Ihnen heute eines versprechen darf, so ist es das, Ihnen mit gutem Beispiel voranzugehen in der Freudigkeit des Tuns und Redlichkeit des Wollens!«97
97 G. Mahler, September 1888, zit. n. A. Mahler 1924, S. 116.

Auch in Wien verlangte er den unermüdlichen Einsatz aller Beteiligten, forderte tyrannisch von sich selbst und allen anderen das Höchste und Letzte. Hier stand er inmitten der Auseinandersetzungen des »irdischen Lebens«, was letztlich auch zu seinem frühen Herzleiden geführt haben dürfte. Sein imperatorhaftes Gebaren veranlaßte den Hamburger Musikkritiker Ferdinand Pfohl, bei Mahler Anfälle von »Cäsarenwahnsinn« zu diagnostizieren.98

98 Berger 1993, S. 19.
Demgegenüber stand das »himmlische Leben« – sein Sommerleben. Im Gegensatz zu den für Mahler aufreibenden Herbst-, Winter- und Frühjahrszeit verbrachte er die Sommermonate meist fernab der Großstadt inmitten der Natur der Alpen. Hier konnte er sich vom verzehrenden Getriebe seiner Wiener Tätigkeit regenerieren. Inmitten von für ihn paradiesischen Naturverhältnissen entstanden die meisten seiner Sinfonien, denn solange er sich noch in der »Strafanstalt« aufhielt, wo der »Kulissenschmutz« an ihm haftete, d.h. solange die Theatersaison noch währte, war seine schöpferische Kraft durch seinen täglichen Umgang mit fremder Musik gleichsam versiegt. Erst in der Distanz zur Kunst der anderen fand er seine eigene. Doch auch in den Theaterferien arbeitete er mit spartanischer Strenge. Als »Ferienkomponist« mußte er den Sommer geizig ausnutzen, mußte ungestört bleiben. 1893 bis 1896 verbrachte Mahler die Sommer regelmäßig mit seiner Schwester Justine in Steinbach am Attersee, wo er die zweite Sinfonie fertigstellte und die dritte komponierte. Hier hatte man ihm ein »Komponierhäusl« errichtet. Hierher zog es ihn jedesmal zurück, wenn er von seinen Streifzügen durch Wiesen und Wälder heimkehrte, um die »Ernte in die Scheune« einzubringen. Klavier und Bücher, Tisch und Sessel waren die einzigen Gegenstände in diesem »Arbeits-Sanktuarium, wo es ›bei Todesstrafe‹ verboten war, ihn aufzusuchen oder zu stören«.99
99 Natalie Bauer-Lechner, zit. n. Herbert Killian (Hrsg.): Gustav Mahler in den Erinnerungen von Natalie Bauer-Lechner. Hamburg 1984, S. 53.
In den Jahren 1902 bis 1907 fuhren er seine Familie regelmäßig nach Maiernigg am Wörthersee, wo Mahler sich direkt am Ufer eine Villa erbauen ließ. Auch hier hatte er wieder eine Komponierhütte oberhalb der Villa im Wald, wo er seine vierte Sinfonie vollendete und die fünfte komponierte. Die Sommer 1908 bis 1910 verbrachte er regelmäßig in einem großen Bauernhaus in Alt-Schluderbach in den Dolomiten. Trotz seines Herzleidens marschierte Mahler auch bei schlechtem Wetter täglich nach Toblach und zurück.

Seine Affinität zur Natur steht in enger Verbindung mit seinem Verhältnis zur Gesellschaft: Mahler erlebt die bürgerliche Gesellschaft seiner Zeit überwiegend als kalt und feindlich. Trotz seiner Erfolge bleibt ihm seine Tätigkeit eine Last, ein »Kampf«. Das Leben des Künstlers in der Gesellschaft sei von Leid geprägt, weil die Kunst auf die unerträglichste Weise mißhandelt werde, das Kunstleben »immer und überall dasselbe verlogene, von Grund auf verpestete, unehrliche Gebaren«100

100 G. Mahler, Brief an Friedrich Löhr, zit. n. Blaukopf 1982, S. 117.
ist. In einem vielzitierten Brief an seinen Freund Steiner, in dem sich, so Schreiber, bereits Mahlers genialische Anlage in »jugendlich-gärender Form« präsentiert, schreibt er bereits im Jahre 1879:

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