schreiben. [...] Wenn ich Ihnen heute eines versprechen darf, so ist es das,
Ihnen mit gutem Beispiel voranzugehen in der Freudigkeit des Tuns und
Redlichkeit des Wollens!«97
97 G. Mahler, September 1888, zit. n. A. Mahler 1924, S. 116.
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Auch in Wien verlangte er den unermüdlichen Einsatz aller Beteiligten, forderte
tyrannisch von sich selbst und allen anderen das Höchste und Letzte. Hier stand er
inmitten der Auseinandersetzungen des »irdischen Lebens«, was letztlich auch zu seinem
frühen Herzleiden geführt haben dürfte. Sein imperatorhaftes Gebaren veranlaßte den
Hamburger Musikkritiker Ferdinand Pfohl, bei Mahler Anfälle von »Cäsarenwahnsinn« zu
diagnostizieren.98
Demgegenüber stand das »himmlische Leben« – sein Sommerleben. Im Gegensatz zu den
für Mahler aufreibenden Herbst-, Winter- und Frühjahrszeit verbrachte er die
Sommermonate meist fernab der Großstadt inmitten der Natur der Alpen. Hier
konnte er sich vom verzehrenden Getriebe seiner Wiener Tätigkeit regenerieren.
Inmitten von für ihn paradiesischen Naturverhältnissen entstanden die meisten
seiner Sinfonien, denn solange er sich noch in der »Strafanstalt« aufhielt, wo
der »Kulissenschmutz« an ihm haftete, d.h. solange die Theatersaison noch
währte, war seine schöpferische Kraft durch seinen täglichen Umgang mit fremder
Musik gleichsam versiegt. Erst in der Distanz zur Kunst der anderen fand er
seine eigene. Doch auch in den Theaterferien arbeitete er mit spartanischer
Strenge. Als »Ferienkomponist« mußte er den Sommer geizig ausnutzen, mußte
ungestört bleiben. 1893 bis 1896 verbrachte Mahler die Sommer regelmäßig mit
seiner Schwester Justine in Steinbach am Attersee, wo er die zweite Sinfonie
fertigstellte und die dritte komponierte. Hier hatte man ihm ein »Komponierhäusl«
errichtet. Hierher zog es ihn jedesmal zurück, wenn er von seinen Streifzügen durch
Wiesen und Wälder heimkehrte, um die »Ernte in die Scheune« einzubringen.
Klavier und Bücher, Tisch und Sessel waren die einzigen Gegenstände in diesem
»Arbeits-Sanktuarium, wo es ›bei Todesstrafe‹ verboten war, ihn aufzusuchen oder zu
stören«.99
99 Natalie Bauer-Lechner, zit. n. Herbert Killian (Hrsg.): Gustav Mahler in den
Erinnerungen von Natalie Bauer-Lechner. Hamburg 1984, S. 53.
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In den Jahren 1902 bis 1907 fuhren er seine Familie regelmäßig nach Maiernigg am
Wörthersee, wo Mahler sich direkt am Ufer eine Villa erbauen ließ. Auch hier hatte er
wieder eine Komponierhütte oberhalb der Villa im Wald, wo er seine vierte Sinfonie
vollendete und die fünfte komponierte. Die Sommer 1908 bis 1910 verbrachte er
regelmäßig in einem großen Bauernhaus in Alt-Schluderbach in den Dolomiten. Trotz
seines Herzleidens marschierte Mahler auch bei schlechtem Wetter täglich nach Toblach
und zurück.
Seine Affinität zur Natur steht in enger Verbindung mit seinem Verhältnis zur
Gesellschaft: Mahler erlebt die bürgerliche Gesellschaft seiner Zeit überwiegend als kalt
und feindlich. Trotz seiner Erfolge bleibt ihm seine Tätigkeit eine Last, ein
»Kampf«. Das Leben des Künstlers in der Gesellschaft sei von Leid geprägt, weil
die Kunst auf die unerträglichste Weise mißhandelt werde, das Kunstleben
»immer und überall dasselbe verlogene, von Grund auf verpestete, unehrliche
Gebaren«100
100 G. Mahler, Brief an Friedrich Löhr, zit. n. Blaukopf 1982, S. 117.
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ist. In einem vielzitierten Brief an seinen Freund Steiner, in dem sich, so Schreiber,
bereits Mahlers genialische Anlage in »jugendlich-gärender Form« präsentiert, schreibt
er bereits im Jahre 1879:
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