des
Komponisten zur bürgerlichen Gesellschaft hergestellt werden. Dies allerdings nicht in
dem Sinne einer Überlegung, die zwischen Gesellschaft und Musik eindeutig
zuschreibbare Kausalitäten herstellen möchte (dies wäre sowieso nicht möglich),
sondern vielmehr in der Überzeugung, daß die Gesellschaft als eine allgemeine
und dennoch zugleich fundamentale Bedingung von ästhetischer Produktion
verstanden werden kann und damit einen »Sinnhorizont« bietet. Mahlers Welt- und
Gesellschaftsanschauung ist durch einen ständigen Bezug zur Kunst geprägt: »Kunst als
Ausdruck einer Innenwelt, die von der Wirklichkeit zwar verursacht und beinhaltet wird,
jedoch als Imaginations-welt des Subjekts von der Wirklichkeit strikt getrennt
ist.«88
88 G. Mahler, Brief an Max Kalbeck vom 20. November (vermutl.) 1900, zit. n. Herta
Blaukopf (Hrsg.): Gustav Mahler – Briefe. Wien/Hamburg 1982, S. 254.
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Insofern erfordert die Schilderung seiner Persönlichkeit eine kurze Spektralanalyse
seiner Zeit. Der Präzision halber wollen wir uns im folgenden auf seine Wiener
Zeit (1897–1907) beschränken, in der auch die im Film zitierte fünfte Sinfonie
entstand.
Fünf Wochen nach seiner »Berufung zum Gott der südlichen Zonen« - seine Ernennung
zum Direktor der Wiener Hofoper – schreibt Mahler, in Wien halte man ihn allgemein »für
einen reizend liebenswürdigen Gesellschafter«. Sein Kommentar: »Brrr! Wie sich die wundern
werden!«89
89 G. Mahler, Brief an Adele Marcus vom 18. Juni 1897, zit. n. A. Mahler 1924,
S. 242.
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Diese
Bemerkung, so Schreiber90
90 Schreiber 1997, S. 77–78.
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,
fasse das Alte und Neue in Wien zusammen – Gegensätze, die sich wie kaum in einer
zweiten Stadt begegneten und bekämpften. Hier Tradition, dort Aufbruch, die in
Mahlers Persönlichkeit wie in einem Brennspiegel aufeinanderstießen. Das Wien der
Jahrhundertwende ist eine Zeit des gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen
Umbruchs. Musils »Kakanien«, über dessen Auflösung er dreißig Jahre später in
seinem Roman Der Mann ohne Eigenschaften bilanziert, erlebte mit seiner
letzten glänzenden Blüte zugleich seinen Untergang, die Donaumonarchie starb
langsam aber sicher ab. Schreiber zeichnet ein anschauliches Porträt des Wiens der
Jahrhundertwende:
»Adel, Militär, Großbürgertum und eine funktionierende Beamtenhierarchie,
ausgerichtet auf das Symbol des legendären Monarchen Franz Joseph I.; das
»gemütliche« Wien und seine Gesellschaft mit ihren Bällen, Praterausfahrten
und Landpartien, einer behäbigen, sich in Schöngeisterei gefallenen Feuilletonpresse
samt den dazugehörigen Literaten in ihren Kaffeehäusern; Wien, die »Ewige
Stadt« der Musik und der Fiaker, der vollblutigen Frauen und des Weins –
diese in Jahrhunderten gewachsene und scheinbar intakt sich bewegende Welt
mochte noch für lange Zeit von Bestand sein.«91
91 Schreiber 1997, S. 79.
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Doch die Zeit war kurz und schritt unaufhaltsam voran. Fremde Geräusche
mischten sich in den »wohlklingenden« Alltag – Errungenschaften der Technik wie
Automobile, elektrische Straßenbahnen oder das Rattern der Kinematographen. 1897
markiert ein markantes Jahr. Karl Lueger gewinnt mit seiner christlich-sozialen
Partei in Wien die Oberhand und wird Bürgermeister. Der Sozialdemokrat
Victor Adler versammelte die Kräfte der Arbeiterschaft um sich und verkündete
Georg Ritter von Schönerer mit Hilfe seines »Alldeutschen Verbandes« die Ziele
des bürgerlichen Antisemitismus (seinem Dunstkreis entstammt später Adolf
Hitler).92
92 Carr, Jonathan C.: Gustav Mahler. Biographie. München 1997, S. 44–45; vgl. auch
Helmut M. Müller: Deutsche Geschichte in Schlaglichtern. Mannheim/Leipzig/Wien u.a.
1996, S. 202–203.
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