- 252 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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gab allerdings Entwicklungen, die eine bewußte Alternative zu der oft erdrückenden Erbschaft der Klassik boten. So rückten kleinere Formen wie das Klavierstück, die Bagatelle, Lieder, Tänze oder Etüden, die in der Klassik lediglich eine periphere Existenz führten, in das Zentrum kompositorischen Interesses. Zudem sah man besonders in der Klaviermusik in diesen kleineren Formen ein geeignetes Forum, subjektiven, nationalen, folkloristischen u.ä. Empfindungen Ausdruck zu verleihen.

Die Ideen der Frühromantiker waren gekennzeichnet durch die »Sehnsucht nach dem Unendlichen« (A. W. Schlegel). Die Phantasie sollte zur »Triebfeder der Kunst« werden. Die Folge: romantische Kunst wurde zum Ausdruck des reinen Subjektivismus, in dem die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit fließend war. Der Sinn für das Individuelle bestimmte das Ausdrucksvermögen, in dem das Interesse für das Unbewußte, die Nachtseiten der Natur und die der menschlichen Existenz dominant waren. Der Geist des Menschen befreit sich von einengenden klassischen Ordnungsprinzipien, um sein Schicksal selbst zu bestimmen entsprechend seinen Bedürfnissen und Wünschen. Werke wie Beethovens Eroica reflektierten ein gewisses Maß an humanistischem Optimismus. Doch mit dem Scheitern der Deutschen Revolution im Jahre 1848 folgte die Ernüchterung, und jene humanistischen Ideale wurden erschüttert. Gott, wie Nietzsche sagte, war tot; der Mensch wurde nun zu seinem eigenen Gott. Die Folge war jener »Weltschmerz«, der Komponisten wie Schriftsteller dazu verleitete, sich in ihren Werken in eine imaginäre Phantasiewelt zu flüchten, um ihre unerfüllten Wünsche zu pflegen. Komponisten wie Strauss (Ein Heldenleben, 1899) oder Delius lamentieren wehmütig über den Untergang romantischer Ideale und lassen ihre Helden in bittersüßer Resignation versinken. Im späten 19. Jahrhundert treten die »Erben« der frühen Romantiker in Erscheinung, noch immer beflügelt von dem Ideal, die Welt »neu zu formen«, und dennoch nüchterner und vernünftiger aufgrund der Erfahrungen der Geschichte. Das zentrale Problem der Spätromantiker war die Diskrepanz zwischen dem Wunsch nach humanistischem Fortschritt und menschlicher Schwäche. Mahler wurde als ein »Erbe« Beethovens und Wagners ebenso mit diesem Problem konfrontiert.85

85 Cooke 1988, S. 6–7.
Gustav Mahler: der Mensch und seine Zeit

»Dualismus als Lebensprinzip«86

86 Berger 1993, S. 17.
, »Musikalische Ambivalenz«87
87 Stenger 1998, S. 7.
– dies sind Schlüsselwörter auf dem Weg zu Mahlers Persönlichkeit und seiner Musik. Beide zeichnen sich durch zahllose Widersprüche aus, die eine Annäherung an den Komponisten nicht gerade leicht machen. Sie beginnen bereits bei seiner Nationalität. Er wurde unter der österreichisch-ungarischen Monarchie geboren, seine Muttersprache war Deutsch, zudem war er jüdischer Abstammung. So war er von Anfang an durch Rassenspannungen gekennzeichnet. Er gehörte zu einer unpopulären österreichischen Minderheit unter den Böhmen, zugleich gebührte er der unpopulären jüdischen Minderheit unter den Österreichern. Das Gefühl von Exil begleitet ihn sein Leben lang. Seine Aussage, er sei als Böhme in Österreich, als Österreicher unter Deutschen und als Jude in der ganzen Welt dreifach heimatlos, wird in diesem Zusammenhang oft zitiert.

Der Dualismus begleitet sein Leben wie auch sein gesamtes Werk. Jeder Mensch wird durch die Gesellschaft geprägt, in der er lebt, so auch Mahler. So kann neben der Annäherung an Mahlers Musik durch seine Persönlichkeit auch ein Bezug


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