- 251 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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Tendenzen in Musik oder Literatur sind beispielsweise das Biedermeier, Realismus, Historismus oder Nationalismus. Insofern ist der Begriff der Romantik nur dann sinnvoll, wenn man sich darüber im klaren ist, daß er als partielles Phänomen nicht den universellen Zeitgeist des 19. Jahrhunderts charakterisiert. Daher seien im folgenden lediglich einzelne Ideenkomplexe skizziert:

Als »romantisch« galt ursprünglich die volkssprachliche romanische Dichtung, die von den Gebildeten unter ihren Verächtern als regellos gegenüber dem durch Kunstnormen Geregelten empfunden wurde. Sie galt als »niederer Stil« gegenüber dem »hohen« Genre der klassischen Literatur, die im Zeichen des Nachahmungsprinzips Anspruch auf Wahrheit erhob.79

79 Carl Dahlhaus: »Romantik.« In: Carl Dahlhaus/Hans Heinrich Eggebrecht: Brockhaus Riemann Musiklexikon, Bd. 4. Mainz 1992d, S. 60–62.
Zu den Vorstellungen, die sich umgangssprachlich mit dem Begriff der »Romantik« verbinden, so Dahlhaus, gehören zum einen der Widerspruch gegen »klassische«, von antiken Mustern abstrahierte Kunstregeln. Die Romantik als Gegenbegriff zur Klassik stammt von Novalis. Zum anderen gehört hierzu die Affinität zum Bereich des Wunderbaren, Märchenhaften und Grotesken, auch des Exzentrischen und des Wahnsinns. Darüber hinaus bezeichnet Romantik auch die Neigung, »niedere« Gattungen wie das Volkslied, das Märchen oder den Schauerroman zur Kunst zu erheben.

Musikgeschichtlich ist das Romantische zunächst ein Komplex literarischer Sujets für Opern, Programmsinfonien oder Lieder – Sujets, in denen beispielsweise Archaisches wie Mythisches, Exotisches oder Kindliches zum Gegenstand subjektiver Aneignung wird. Musik wird zu einem Mittel, die eigene Individualität zu »entgrenzen«. Zu den besonderen Merkmalen der deutschen Romantik gehört eine Musikästhetik80

80 Vgl. auch Carl Dahlhaus: Musikästhetik. Köln 1967; Carl Dahlhaus: Klassische und romantische Musikästhetik. Laaber 1988.
, die auf Wackenroder, Tieck81
81 Wilhelm Heinrich Wackenroder/Ludwig Tieck: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. [Berlin 1797], Stuttgart 1994a; Wilhelm Heinrich Wackenroder/Ludwig Tieck: Phantasien über die Kunst. [Hamburg 1799], hrsg. von Wolfgang Nehring. Stuttgart 1994b.
, E.T.A. Hoffmann und Arthur Schopenhauer zurückgeht und die eine sogenannte »Metaphysik der Instrumentalmusik« beschreibt. Die provozierend neue These: in der »kühnen, wortlosen« Instrumentalmusik manifestiere sich Geist. Entgegen der traditionellen Ansicht, nach der nur textgebundene Vokalmusik eine hohe Kunst sei, sei Instrumentalmusik eine »Sprache des Erhabenen« (Tieck), die das »innerste Wesen der Welt«82
82 Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung (1818), Bd. I und II, textkritisch bearbeitet und hrsg. von Wolfgang Freiherr von Löhneysen. Frankfurt am Main 1996; hier Bd. I, S. 356–372; Bd. II, S. 573–586.
in Töne fasse. Damit habe die Musik teil an einem jenseits der realen Welt existierenden Reich des Geistes. Die romantische Metaphysik umfaßte die absolute83
83 Vgl. auch Carl Dahlhaus: Die Idee der absoluten Musik. Basel/London/New York u.a. 1994.
wie auch die Programmusik. In der Musikgeschichte spiegelt sich ein solches Selbstbewußtsein zum ersten Mal in der großen symphonischen Form in der klassischen Instrumentalmusik Haydns, Mozarts und insbesondere in den Werken Beethovens wider. Damit gründete sich die romantische Musikästhetik auf die Rezeption klassischer Musik, d.h. die musikalische Klassik wird durch diese Erfahrung seitens der Romantik erst als Begriff definiert. Dies bedeutet: während in der literarischen Romantik Gegensätze zur Klassik formuliert werden, sind diese auf die Musik nicht übertragbar. Im 19. Jahrhundert bleibt die Klassik als positiver Bezugspunkt und als Gegenwart ständig im Bewußtsein und wird nicht als Kontrast erlebt. Besonders Beethoven gilt als »klassisches« Beispiel und als Legitimation für den Fortschritt in der Kunst. Ästhetische Paradigmen wie die Autonomie der Musik, Prinzipien des musikalischen Satzes, die Idee des »Universalstils« sind Klassik und Romantik gemeinsam.84
84 Blume 1974, S. 315–329.
Es

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