Tendenzen in Musik oder Literatur sind beispielsweise das Biedermeier,
Realismus, Historismus oder Nationalismus. Insofern ist der Begriff der Romantik nur
dann sinnvoll, wenn man sich darüber im klaren ist, daß er als partielles Phänomen nicht
den universellen Zeitgeist des 19. Jahrhunderts charakterisiert. Daher seien im folgenden
lediglich einzelne Ideenkomplexe skizziert:
Als »romantisch« galt ursprünglich die volkssprachliche romanische Dichtung, die von den
Gebildeten unter ihren Verächtern als regellos gegenüber dem durch Kunstnormen Geregelten
empfunden wurde. Sie galt als »niederer Stil« gegenüber dem »hohen« Genre der
klassischen Literatur, die im Zeichen des Nachahmungsprinzips Anspruch auf Wahrheit
erhob.79
79 Carl Dahlhaus: »Romantik.« In: Carl Dahlhaus/Hans Heinrich Eggebrecht: Brockhaus
Riemann Musiklexikon, Bd. 4. Mainz 1992d, S. 60–62.
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Zu den Vorstellungen, die sich umgangssprachlich mit dem Begriff der »Romantik« verbinden,
so Dahlhaus, gehören zum einen der Widerspruch gegen »klassische«, von antiken Mustern
abstrahierte Kunstregeln. Die Romantik als Gegenbegriff zur Klassik stammt von Novalis. Zum
anderen gehört hierzu die Affinität zum Bereich des Wunderbaren, Märchenhaften und
Grotesken, auch des Exzentrischen und des Wahnsinns. Darüber hinaus bezeichnet Romantik
auch die Neigung, »niedere« Gattungen wie das Volkslied, das Märchen oder den Schauerroman
zur Kunst zu erheben.
Musikgeschichtlich ist das Romantische zunächst ein Komplex literarischer
Sujets für Opern, Programmsinfonien oder Lieder – Sujets, in denen beispielsweise
Archaisches wie Mythisches, Exotisches oder Kindliches zum Gegenstand subjektiver
Aneignung wird. Musik wird zu einem Mittel, die eigene Individualität zu
»entgrenzen«. Zu den besonderen Merkmalen der deutschen Romantik gehört eine
Musikästhetik80
80 Vgl. auch Carl Dahlhaus: Musikästhetik. Köln 1967; Carl Dahlhaus: Klassische und romantische
Musikästhetik. Laaber 1988.
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, die auf
Wackenroder, Tieck81
81 Wilhelm Heinrich Wackenroder/Ludwig Tieck: Herzensergießungen eines kunstliebenden
Klosterbruders. [Berlin 1797], Stuttgart 1994a; Wilhelm Heinrich Wackenroder/Ludwig Tieck:
Phantasien über die Kunst. [Hamburg 1799], hrsg. von Wolfgang Nehring. Stuttgart
1994b.
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,
E.T.A. Hoffmann und Arthur Schopenhauer zurückgeht und die eine sogenannte
»Metaphysik der Instrumentalmusik« beschreibt. Die provozierend neue These: in
der »kühnen, wortlosen« Instrumentalmusik manifestiere sich Geist. Entgegen der
traditionellen Ansicht, nach der nur textgebundene Vokalmusik eine hohe Kunst sei, sei
Instrumentalmusik eine »Sprache des Erhabenen« (Tieck), die das »innerste Wesen der
Welt«82
82 Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung (1818), Bd. I und II, textkritisch
bearbeitet und hrsg. von Wolfgang Freiherr von Löhneysen. Frankfurt am Main 1996; hier Bd.
I, S. 356–372; Bd. II, S. 573–586.
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in Töne fasse. Damit habe die Musik teil an einem jenseits der realen Welt
existierenden Reich des Geistes. Die romantische Metaphysik umfaßte die
absolute83
83 Vgl. auch Carl Dahlhaus: Die Idee der absoluten Musik. Basel/London/New York u.a.
1994.
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wie auch die Programmusik. In der Musikgeschichte spiegelt sich ein solches Selbstbewußtsein
zum ersten Mal in der großen symphonischen Form in der klassischen Instrumentalmusik
Haydns, Mozarts und insbesondere in den Werken Beethovens wider. Damit gründete sich die
romantische Musikästhetik auf die Rezeption klassischer Musik, d.h. die musikalische Klassik
wird durch diese Erfahrung seitens der Romantik erst als Begriff definiert. Dies bedeutet:
während in der literarischen Romantik Gegensätze zur Klassik formuliert werden, sind diese
auf die Musik nicht übertragbar. Im 19. Jahrhundert bleibt die Klassik als positiver
Bezugspunkt und als Gegenwart ständig im Bewußtsein und wird nicht als Kontrast
erlebt. Besonders Beethoven gilt als »klassisches« Beispiel und als Legitimation für den
Fortschritt in der Kunst. Ästhetische Paradigmen wie die Autonomie der Musik, Prinzipien
des musikalischen Satzes, die Idee des »Universalstils« sind Klassik und Romantik
gemeinsam.84
84 Blume 1974, S. 315–329.
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Es
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