- 250 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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Wenn man die Literatur zu Mahler sichtet, stellt man schnell fest, daß es zunächst die beiden konventionellen Arten der Annäherung an den Komponisten gibt: zum einen die musikwissenschaftliche Analyse seiner Werke, welche die formalen, tonalen, instrumentalen und thematischen Aspekte ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt; zum anderen die Biographie, die sich auf den Abriß seines Lebens und die Stationen seiner Werkproduktion bezieht und darüber hinaus eine Verbindung zwischen Werk und der Persönlichkeit Mahlers herzustellen versucht. Daneben läßt sich auch eine Annäherung denken, welche die Musik Mahlers mit einem allgemeinen Konzept von bürgerlicher Gesellschaft in Beziehung setzt. Denn: »Was Mahler hervorgebracht hat, ist musikalisch allein nicht zu entschlüsseln.«75
75 Hans-Wilhelm Kulenkampff: »Widerbild der Welt. Totalität und Einspruch bei Gustav Mahler.« In: Peter Ruzicka (Hrsg.): Mahler – eine Herausforderung. Ein Symposium. Wiesbaden 1977, S. 15; vgl. auch Udo Bermbach: »Gustav Mahler – Komponist der bürgerlichen Gesellschaft?« In: Matthias Theodor Vogt (Hrsg.): Das Gustav-Mahler-Fest: Hamburg 1989; Bericht über den Internationalen Gustav-Mahler-Kongreß. Kassel/Basel/London 1989, S. 68–78.
Die Tatsache, daß auch die Musikwissenschaft mit dem Mahler-Boom der sechziger Jahre den Komponisten verhältnismäßig spät entdeckt hat und daher sowohl seine Persönlichkeit als auch die Prinzipien seines Werkes heute noch viele Fragen aufwerfen, verleitet manche Autoren dazu, Mahler als Genie zu mystifizieren und damit den »Genie-Kult« des späten 19. Jahrhunderts einfach zu übernehmen, ohne ihn je zu entschlüsseln. Als solche sind die wissenschaftlichen Monographien zu seiner Person und seinem Werk oft irreführend und unbrauchbar, da zu subjektiv. Um die These über den Kontext des betreffenden Werkes im Film überprüfen zu können, sind möglichst objektive Ausführungen vonnöten, da ein möglicher Transfer in den fiktiven Kontext einer filmischen Dramaturgie nicht feststellbar ist, wenn sich bereits um die musikalische Quelle ein unantastbarer Mythos rankt. Aus diesem Grunde soll hier – auch in Annäherung an die Ausführungen von Schreiber76
76 Wolfgang Schreiber: Gustav Mahler. Reinbek 1997.
– vor allem mit Hilfe der Briefe ein möglichst authentischer Einblick in die Persönlichkeit, Leben und Werk des Komponisten gegeben werden, der sich bemüht, den drei genannten Ansätzen Rechnung zu tragen.
Musikästhetische Tendenzen der Epoche

Mahler ist zunächst der sogenannten »Spätromantik« zuzuordnen. Die Epoche der musikalischen Romantik, besonders der Spätromantik, birgt zahlreiche unterschiedliche Aspekte: »at its best it is an exploration of the wonder and mystery of life, and of the powerful unconscious urges which impel human action; at its worst, an addiction to vague mystification and turgid sentimentality«77

77 Deryck Cooke: Gustav Mahler. An Introduction to his Music. London 1988, S. 6.
, so faßt Cooke die Gegensätze jener Epoche zusammen.

Der Versuch, die Romantik politisch, sozialgeschichtlich oder musikalisch zu fixieren, ist zum Scheitern verurteilt. Sie ist lediglich eine von vielen Tendenzen, die die Geschichte des 19. Jahrhunderts geprägt haben. Eine »Epoche der Romantik« suggeriert einen einheitlichen romantischen Zeitgeist wie auch einen literarischen oder musikalischen Epochenstil, den es nicht gibt. Insofern ist auch die Musikkultur des 19. Jahrhunderts durch mehrere ästhetische und stilistische Tendenzen beeinflußt, von denen die Romantik lediglich ein Teilphänomen darstellt.78

78 Vgl. hierzu beispielsweise Friedich Blume: Epochen der Musikgeschichte in Einzeldarstellungen. Kassel 1974, S. 307–385.
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