ist die
Suche des Künstlers nach Vollendung und die Unmöglichkeit, je Vollendung zu
finden; in dem Augenblick, in dem der Künstler zur Vollendung findet, erlischt
er.«68
68 Luchino Visconti, ohne Quellenangaben, zit. n. Krusche 1996, S. 422.
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Zugleich ist sein Tod stellvertretend für den Untergang einer ganzen Epoche. Mussorgskijs
Schlaflied, das die russische Touristin wehmütig am Strand singt, ist bezeichnend für eine
Gesellschaft, die müde ist und sich in einen Schlaf singt, aus dem sie nicht mehr aufwachen
wird.69
69 Bernd Kiefer: »Tod in Venedig.« In: Koebner 1995b, S. 231.
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11.1.3. Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 5 cis-Moll, IV. Satz Adagietto
11.1.3.1 Der musikalische Kontext des Zitats
Die fünfte Sinfonie Gustav Mahlers (1860–1911) entstand in den Jahren 1901/02 und wurde
unter Mahler im Jahre 1904 in Köln uraufgeführt. Sie ist zu der mittleren Schaffensperiode
des Komponisten zu zählen. In dieser Zeit entstanden auch seine sechste und siebte
Sinfonie.70
70 Alfred Stenger: Die Symphonien Gustav Mahlers. Eine musikalische Ambivalenz.
Wilhelmshaven 1998, S. 126.
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Charakteristisch für diese Periode ist Mahlers Abkehr von volksmusikalischen Elementen,
ausgewiesener Programmatik und Liedmaterial in seinen Sinfonien. Stattdessen entstand
ein Tryptichon reiner Instrumentalwerke.
In der Literatur wird Mahler gerne als der »größte Symphoniker des ausgehenden 19.
Jahrhunderts« oder etwa als »der seltsamste aller modernen Musiker« dargestellt,
um den sich ein transzendentaler Mythos rankt. Sicherlich auch eine Folge dessen,
daß Mahler nach seinem Tod besonders in der Zeit des Nationalsozialismus sehr
vernachlässigt wurde. Die Werke des jüdischen Komponisten galten gemeinhin als
»entartet« und wurden nicht mehr aufgeführt. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg
verhielten Dirigenten sich eher zurückhaltend dem Mahlerschen Repertoire gegenüber,
was sicherlich auch auf den enormen Schwierigkeitsgrad und die überdimensionale
Besetzung seiner Sinfonien zurückzuführen ist. Erst fünfzig Jahre nach seinem Tod
kam ein Mahler-Boom ins Rollen. Seine Werke fanden wieder Eingang ins Repertoire
renommierter Konzerthäuser, die Schallplattenindustrie nutzte die neue Popularität des
Spätromantikers.71
71 Vgl. auch Kurt Blaukopf: »Hintergründe der Mahler-Renaissance.« In: Otto Kolleritsch (Hrsg.):
Gustav Mahler. Sinfonie und Wirklichkeit. Graz 1977, S. 16–23.
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Mahlers Frau Alma hat überliefert, Mahler habe des öfteren gesagt, seine Werke seien ein »Antizipando des
kommenden Lebens«72
72 Gustav Mahler. Briefe 1879–1911, hrsg. von Alma Maria Mahler. Berlin/Wien u.a. 1924, S.
XIII.
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– seine Zeit werde kommen: »Auf Verständnis unter meinen ›Zunftgenossen‹ rechne
ich schon lange nicht mehr. Ich fühle, daß diejenigen, welche mir einst folgen
werden, nicht dort zu suchen sind, wo Musik und Ähnliches ›gemacht‹ wird. –
Meine Musik ist ›gelebt‹, und wie sollen sich diejenigen zu ihr verhalten, die nicht
›leben‹, und zu denen nicht ein Luftzug dringt von dem Sturmflug unserer großen
Zeit.«73
73 G. Mahler, Brief an Oskar Bie vom 3. April 1895 , zit. n. A. Mahler 1924, S. 170.
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So sah er sich als »Zeitgenosse der Zukunft«. Er sollte recht behalten, denn während
seine Kompositionen bei seinen Zeitgenossen oft Unverständnis und Ablehnung
hervorriefen, sind sie heute populärer denn je. Berger führt dies auf die Tatsache
zurück, daß Mahlers Musik stets Lebens- und Daseinsfragen zu Grunde liegen, die
unser Jahrhundert antizipiert haben und so auch heute noch den Nerv der Zeit
treffen.74
74 Frank Berger: Gustav Mahler. Vision und Mythos. Versuch einer geistigen Biographie.
Stuttgart 1993, S. 15–16.
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