Die Hoffnung auf eine andere Lösung wird sogleich auf dem
Stadtrundgang (Szene 47 und 48) zerstört. Aschenbach verfällt immer mehr der passiven
Leidenschaft eines Voyeurs, der seine Augen nicht mehr von Tadzio abwenden kann
(Sehnsuchtsmotiv). Dieser scheint ihn auf laszive Art und Weise zu locken. Aschenbachs
Zusammenbruch an der Zisterne ist nicht nur ein physischer Zusammenbruch infolge der
Cholera, sondern auch in Erkenntnis darüber, in welch groteske Situation ihn seine
Liebe gebracht hat. Diese illustriert er mit einem hysterisch-wilden Lachen.
Sein anfangs so stark ausgeprägtes selbstkritisches Bewußtsein hat er gänzlich
verloren. Umgeben von Verfall und schleichendem Tod behält er – sich selbst
erniedrigend – die Illusion eines anderen Lebensglückes, das von Natürlichkeit jenseits
jeder preußischen Ordnung erfüllt ist, dessen Erfüllung er jedoch vergeblich
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Das Ende des Künstlers ist damit vorgezeichnet. In Manns literarischer Vorlage hält
Aschenbach an dieser Stelle ein Traumgespräch mit Phaidros, in dem er die Bedeutung
der Sinnlichkeit für die Kunst anerkennt. Hier macht der Film nicht nur optisch
deutlich, daß diese Erkenntnis zu spät kommt. Alfrieds Worte in der letzten
Rückblende antizipieren den Untergang des Helden auch aus dem off, in der sowohl
die Person Aschenbachs als auch seine Kunst eine Niederlage erleiden. Dabei
erreichen Alfrieds höhnische Demütigungen, damit das dämonische Motiv, ihren
Höhepunkt:
»Scharlatan! Hochstapler! Da hast du deine Quittung! Reine Schönheit!
[...] Die Abstraktion der Sinne! [...] Deine Musik ist totgeboren und
du bist entlarvt! [...] Weisheit, Wahrheit, menschliche Würde: damit
ist es aus. Jetzt hindert dich nichts mehr daran, dich ins Grab zu
legen, zusammen mit deiner Musik. Du hast erreicht, was du wolltest:
vollkommenes Gleichgewicht. Mensch und Künstler sind identisch geworden.
Beide sind an ihrem absoluten Tiefpunkt angelangt. Du bist nie rein und
makellos gewesen. Nie hast du Zeichen der Vollkommenheit besessen, erst
recht nicht auf dem qualvollen Wege zum Alter, denn du bist alt, Gustav!
Und auf der ganzen Welt gibt es nichts unvollkommeneres als das Alter.«
Aschenbachs Scheitern in der Kunst korrespondiert einem physischen Niedergang. Alfried entlarvt letztlich dessen unerreichbare Theorie der Einheit von Mensch und Künstler, die beide dem Geist verschrieben sein sollen. Menschsein bedeutet nicht asketischer Puritanismus, sondern Sinnlichkeit, die geprägt ist von Mittelmäßigkeit und Unvollkommenheit. Der Versuch, Mensch und Künstler in einer geistigen Einheit zu verbinden, führt unweigerlich zur Niederlage und zum Tod: Aschenbachs Musik ist »totgeboren.« Demgegenüber wird das Gesicht Tadzios, das sich in einer Großaufnahme direkt dem Zuschauer zuwendet, zu einem Mysterium, das zu ergründen oder gar auszuleben Aschenbach weder mehr Zeit noch Kraft hat. Die Katastrophe (Szenen 56 und 57) offenbart die geschlossene Struktur des Films. Begann die erste Einstellung mit dem Nirwana-Motiv, so endet sie auch damit. Aschenbach hat sich dem Dionysischen vollkommen hingegeben. Gemäß dem Verlauf der Tragödie gestaltet Visconti das Ende im Vergleich zur übrigen Handlung äußerst kurz. Die Notwendigkeit des Todes des Helden entspricht nicht nur den Charakteristika des persönlichen Stils Viscontis, sondern erklärt sich auch aus der dramatischen Handlung: Aschenbach hat die Balance zwischen Geist und Sinn verloren, daran scheitert er letztlich. »Das wirkliche Thema der Geschichte |