- 246 -Merten, Jessica: Semantische Beschriftung im Film durch "autonome" Musik 
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Für Elise der gemeinsamen Charakterisierung auf der psychologischen Ebene. Nach McKay wird das Stück in dieser Szene »vulgärisiert« (McKay), abgewertet durch die dilettantische Art des pianistischen Vortrags. Hutchinson nennt den Zusammenschnitt beider ein »ragged ensemble« [stümperhaftes Ensemble].65
65 McKay 1982, S. 53.
Aschenbach, wie Leverkühn ein angesehener Komponist, ist anscheinend nicht entsetzt über diesen Mangel an musikalischer Sensibilität. Sein Interesse ist ganz offensichtlich »dionysischer Natur«, nämlich in den Besitz der physischen Erscheinung beider als einem Ideal der Schönheit zu gelangen. Dies ist auch ein Hinweis auf den weiteren Verlauf der Handlung, denn die Balance zwischen Geist und Natürlichkeit, die Aschenbach auf dem Höhepunkt des Films erreichte, kippt nun zugunsten des Dionysischen. Langsam aber sicher steigert er sich in das Objekt seiner Sehnsucht, Tadzio, hinein und folgt ihm in die Kirche oder auf seinem Rundgang durch Venedig. Das Motiv der Sehnsucht und des Verlangens, bereits seit der ersten Begegnung mit Tadzio subtil präsent, bricht im Fall der Handlung endgültig hervor. Aschenbach wünscht sich die Nähe des Jungen und wollte, er würde nicht wünschen. Die Illusion, er würde Tadzio gleich einer griechischen Statue lediglich mit den Augen des Ästhetikers betrachten, wird hier entlarvt. Vielmehr ist sein Verlangen nach Tadzio darin begründet, daß er durch ihn auf neue Lebendigkeit in seinem Leben hofft, gleichzeitig kann er jedoch den Konsequenzen dieses Verlangens nicht standhalten, nämlich seiner Selbstaufgabe. Kurz: seine Sehnsucht und sein Verlangen sind zum Scheitern verurteilt.

Durch die Person des Straßenmusikanten in Szene 41, der wie bereits erwähnt auch ein Abbild des Teufels aus Doktor Faustus ist, wird das Sehnsuchtsmotiv karikiert. In dem Lied mit dem übertriebenen »Lach-Refrain« vereinen sich gleich mehrere Motive: das dämonische Motiv, das Motiv des Todes und der Falschheit. Die Maskerade der unechten Jugend, die der Sänger durch sein gefärbtes Haar und sein übertrieben geschminktes Gesicht zur Schau trägt, verkörpert dieselbe Gestalt, die Aschenbach vor seinem eigenen Tod annimmt. Die Musikanten rücken gegen die gehobene Gesellschaft in ihrer Abendgarderobe vor. Dabei wird deutlich, daß sich das Lied in erster Linie auf Aschenbach, Tadzio und dessen Mutter bezieht. Es schafft also ein weiteres Band zwischen Tadzio und Aschenbach. Letzterer wird in seiner Sehnsucht nach dem Jungen von dem Sänger im Refrain ganz offensichtlich verhöhnt.

Anhand der Sprache des Liedes wird ein dramaturgisches Verfahren Viscontis deutlich: Sprache als unmittelbarer Gegensatz zur Musik. Sprache hat in diesem Film nicht mehr den Charakter eines eindeutigen Ausdruckssystem. Sie verliert ihre Bedeutung gegenüber der Abfolge der Bilder und der fast jede Szene beherrschenden Musik. Nur in wenigen Szenen erscheint die Sprache als ein Mittel diskursiver Verständigung. Besonders in den Hotel- und Strandszenen wird sie jedoch mehr zu einem Hintergrundgeräusch. Eine auffällige Bedeutung kommt dabei der Fremdsprache zu, die man besonders mit jedem Auftritt der polnischen Familie Tadzios verbindet. Hier tritt das Sprechen der Figuren szenisch und akustisch in den Vordergrund, und ausgerechnet hier handelt es sich um eine Fremdsprache, die aus einem Mix französischer und polnischer Wortfetzen zugleich besteht, so daß selbst ein der Sprachen kundiger Zuschauer Probleme haben dürfte, sie zu verstehen. In Manns


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