hindurchrieselt, ohne daß der Mensch dessen
gewahr wird, ist für Aschenbach ein Symbol seines eigenen Lebens, an dessen
Ende ihm keine Zeit mehr bleibt. Wiederum eine direkte Anleihe aus einem
Dialog im Doktor Faustus zwischen Leverkühn und dem Teufel über die
»Stundglas-Jahre.«50
Das erregende Moment des Films ist sehr eindeutig, nämlich Tadzios Auftritt in Szene
7 und 8. Aschenbach bemerkt verwundert, daß der Junge von »vollkommener Schönheit«
ist und beginnt sogleich, ihn zu fixieren. Hier tritt vollends Musik an die Stelle des
Wortes. Lehárs Walzer »Lippen schweigen. . . « aus der Lustigen Witwe (1905)
in der schleifend schnulzigen Intonation der Hotelmusiker setzt hier freilich
einen ironischen Akzent. Die Erscheinung des Jungen stürzt Aschenbach in
jenen Konflikt zwischen Geist und Sinnlichkeit, was sogleich eine entscheidende
kunsttheoretische Passage in Form einer zweiten Rückblende auslöst, die als Dialog
zwischen Aschenbach und seinen Schüler Alfried aus dem off während des Diners
eingeblendet wird. Kampf und Gegenkampf nehmen hiermit für Aschenbach ihren
Anfang:
Alfried: |
»Schönheit! Du meinst deine subjektive
Vorstellung von Schönheit, die im Geiste lebt.« |
Aschenbach: |
»Aber damit bestreitest du doch die Schaffenskraft
des Künstlers aus dem Geiste!« |
Alfried: |
»Ja, Gustav, genau das bestreite ich!« |
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Als sollte Alfrieds Argument untermauert werden, erfolgt mit dem nächsten Schnitt
sogleich Tadzios Großaufnahme. Als Alfried ihn ungläubig fragt: »Glaubst du wirklich an
Schönheit als Ergebnis von Arbeit?!«, nickt Aschenbach in Gedanken vor sich hin. Wie
um ihn erneut Lügen zu strafen, fängt die Kamera Tadzio erneut in einer Großaufnahme
ein mit Alfrieds Worten: »So wird Schönheit geboren, nur so! Spontan! Ungeachtet
deiner Anstrengungen und meiner. Sie existiert aus sich selbst, unabhängig von unserer
Imagination als Künstler!« Ein Teil der ohnehin in der Vergangenheit bereits rissig
gewordenen Selbstbestimmung- und verwirklichung Aschenbachs geht verloren, nachdem
er Tadzio als vollkommen schön anerkannt hat, seine bisherige Position wird
durch den Jungen erschüttert. Die Erkenntnis der Fragwürdigkeit seiner bisher
festgefügten, kaum mehr zur Diskussion gestellten Wertvorstellungen läßt ihn zum
Zweifler seiner selbst werden. Der Konflikt ist geschaffen und nimmt seinen
Lauf.
Liebes- und Sehnsuchtsmotiv
Das Motiv der Liebe wird anhand der Figur Tadzios charakterisiert, damit zu gleich das der Sehnsucht
und des Verlangens51 .
Hier ergibt sich sogleich ein Unterschied zu Mann, denn die Liebe
von Viscontis Aschenbachs ist rein platonischer Art – »Love without
Eroticism« wie es der Regisseur selber in einem Interview mit Guy Flately
ausdrückte.52
Diese Definition erinnert an eine Passage aus Manns Doktor
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