Eine der für das Thema wichtigsten Einflüsse ist natürlich
auch die Biographie Gustav Mahlers, deren Anleihen im Film nicht zu übersehen
sind.35
35 Vgl. Kap. 11.1.3 bis 11.1.4.2.
|
Reflektiert man diese Quellen, die Visconti benutzt hat, so kann man von einem synthetischen Film
im umfassendsten Sinne des Wortes sprechen. Insofern bezeichnet Bogemski ihn nicht nur als einen
italienischen, sondern als europäischen Künstler, dem der »Reichtum der Weltkultur zu Gebote«
stand.36
36 Georgi Bogemski: »Nachkomme eines alten Herrschergeschlechts. Erinnerungen an Luchino
Visconti (3).« Film und Fernsehen 1 (1980) 48.
|
Der dramaturgische Aufbau in Viscontis Film entspricht der Gattung der Tragödie
nach Kuchenbuch bzw. Franz und Freytag. Vor dem Hintergrund des antiken Vorbildes
ist das Tragische Hauptgegenstand der Tragödie. Es findet seinen Ausdruck im Konflikt
zwischen Individuum und Gesellschaft; ein Konflikt, der nur in der tragischen
Vernichtung des Individuums aufhebbar wird. Diese Konzeption orientiert sich vor allem
an Sophokles. Für das moderne Bewußtsein scheint die Tragödie jedoch nicht mehr
möglich, da die in ihr vorausgesetzten Werte »nicht mehr als etwas Dauerndes, von den
Menschen nicht mehr Abänderbares, für alle Menschen Bestehendes betrachtet« werden
können (Brecht). An ihre Stelle treten die Tragikomödie, die Groteske und das absurde
Theater.37
37 Jürgen Kühnel: »Tragödie.« In: Günther und Irmgard Schweikle (Hrsg.): Metzler
Literatur Lexikon. Begriffe und Definitionen. Stuttgart 1990, S. 471.
|
Dennoch bietet der Film Voraussetzungen für die Beschaffenheit des tragischen Konflikts
der antiken Tragödie. Im Verlaufe sowohl der Novelle als auch des Films kristallisieren
sich mehrere dramaturgische Leitmotive heraus, auf die Visconti immer wieder
zurückgreift. Diese spielen auch eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der
Filmmusik:
Nirwana-Motiv
In der Exposition (Szenen 1 bis 6)38
schafft Visconti die Voraussetzungen des dramatischen Konflikts. Gleich mit der ersten
Szene erzeugt er eine Grundstimmung, die während des gesamten Films präsent
ist. Auf dem Deck sitzt ein Mann, der nicht nur von der Reise erschöpft ist,
sondern sichtlich auch vom Leben. In der Exposition führt Visconti einige der
wichtigsten Motive der gesamten Dramaturgie ein, in der ersten Szene das sogenannte
Nirwana-Motiv.39
Dieses ist das stärkste Motiv des Films, bei dem die Kamera in überdurchschnittlich
vielen Szenen das Meer oder Venedigs Canale Grande in langen und weiten
Einstellungen fotographiert. Die Nirwana-Motivik wird ebenso durch die Farbmetaphorik
im Film durchgehend angedeutet, da die Farbe blau sowohl in der Kleidung
der Protagonisten als auch in der Gestaltung der Räume dominant ist. Das
Nirwana – im buddhistischen Sinne die vollkommene Ruhe im Nicht-Bedingtsein
und Nicht-Begehren – reflektiert Visconti in der Exposition mit der Weite,
mit der er das Meer aufnimmt als Widerschein des »Ewigen« und der Tiefe.
|